: „Angaschemang“ reicht nicht
Nach zwanzig Jahren Isolation scheint der EHC Dynamo Berlin sportlich auf die Bundesliga gut vorbereitet — finanziell indes ist die Zukunft unklar: Noch zahlt das DDR-Innenministerium ■ Aus Berlin Herr Thömmes
Die Gratulationscour wollte kein Ende nehmen. Klasse, Dieter! Glückwunsch, Herr Waschitowitz! Weiter so, Dieter! Ein Interview fürs Westfernsehen bitte, Herr Waschitowitz. Der Präsident des EHC Dynamo Berlin war am Freitag abend ein gefeierter Mann.
Gerade hatte Schiedsrichter Schimki das Spiel gegen die Düsseldorfer EG abgepfiffen, da entlud sich in der Eishalle an der Ostberliner Ho- Chi-Minh-Straße eine Mischung aus Freude und Rührseligkeit. Schulterklopfen, Händeschütteln, stehende Ovationen vom Publikum. Und Dieter Waschitowitz stand an der Bande und strahlte.
Das war ja auch kein normales Eishockeyspiel gewesen. Berlin gegen Düsseldorf, so wurde das hier empfunden, war das Ende einer langen, trostlosen Zeit. 20 Jahre hieß Eishockey in der DDR nichts als Dynamo Berlin — Dynamo Weißwasser oder umgekehrt. Acht, zehn oder zwölf Spiele, dann stand der Meister fest, oft schon im November, wenn der Winter noch gar nicht so recht begonnen hatte. Aus und vorbei.
Denn im Eishockey war man schneller als bei allen anderen Sportarten. Bereits am 11. Mai wurde die Aufnahme der beiden einzigen DDR-Klubs in die höchste Spielklasse des Deutschen Eishockey Bundes (DEB) beschlossen, die Bundesliga auf zwölf Vereine aufgestockt. Wichtiger noch war allerdings eine bislang unbekannte Großzügigkeit der Westler: kein Aufkauf der billigen Konkurrenz, kamen die Profi- Manager überein, für zwei Jahre sollte der personell dürre Bestand der beiden Dynamos nicht angetastet werden.
Das zahlt sich jetzt aus. Während andere Mannschaftssportarten wie Fußball, Volleyball und Handball in der Noch-DDR nach einem kräftigen Aderlaß praktisch im Koma liegen, blieb die — wenn auch kleine — Basis im Eishockey erhalten. Und deren Qualität kann sich sehen lassen. Schon bei früheren Freundschaftsspielen oder Weltmeisterschaften zeigten die DDR-Cracks, daß sie trotz der Einstufung durch die politischen Sportfunktionäre als „nichtförderungswürdige Disziplin“ international zumindest mit der zweiten Garde wie der BRD, der Schweiz oder Polen mithalten können.
Am Freitag mußte das beim 1:1 auch der amtierende Meister Düsseldorf einsehen. Zwar hatte die DEG die weitaus besseren Chancen, doch im Berliner Kasten stand René Bielke, den viele für den besten überhaupt auf dieser Position einstufen, und der Rest „vom Kaderbestand“, freute sich Trainer Hartmut Nickel, kämpfte mit „viel Angaschemang“. Doch das allein reicht nicht. Vor allem Kraft ist gefragt in dieser langen Saison mit allein 44 Spielen in der Vorrunde, immer im Rhythmus Freitag und Sonntag. „Das ist mehr“, hat Dynamo-Pressesprecher Günter Haake nachgezählt, „als wir in den vergangenen drei Jahren zusammen hatten.“
Trotzdem, sportlich scheinen die Berliner bestens vorbereitet. DEG- Trainer Hans Zach etwa hat schon vor dem Auftakt der Bundesliga gewettet, „daß die DDR-Klubs in die Play-Off-Runde kommen“. Die finanzielle Zukunft indes ist gänzlich unklar.
Dabei haben die Verantwortlichen von Dynamo Berlin getan, was sie konnten. Zuerst einmal wurde bereits im März die Trennung vom alten Verein vollzogen. Dynamo ist Stasi, und mit einem EHC davor sollte die Suche nach Sponsoren leichter fallen. Jetzt haftet auf den Trikots die Schrift eines Elektronikkonzerns, was 400.000 Mark im Jahr einbringt, und der Namenszug auf den Hosen war einer japanischen Autofirma 29 Neuwagen wert.
Auch die Bande ist längst nicht mehr so weiß wie im Vorjahr: 17 verschiedene Werbepartner hoffen auf einen Markt im Osten. „Gut 800.000 Mark“ sieht Dieter Waschitowitz an Einnahmen von Sponsoren, „1,9 Millionen umfaßt der Etat.“ Doch so ganz stimmt das nicht. Noch zahlt, in alter Treue, das Innenministerium der DDR die Spielergehälter der offiziell beim Staat Angestellten, stellt Busse und die Halle zur Verfügung — kostenlos.
Am 31. Dezember soll es damit vorbei sein. Dann hofft Waschitowitz noch auf „Anschubfinanzierung für den Rest der Saison“, aber die alte Kalkulation wird nicht mehr aufgehen. Selbst bescheidene Vereine wie Freiburg oder Landshut rechnen mit Etats von fast vier Millionen Mark jährlich, eine Dimension, an die sich auch der EHC Dynamo wird gewöhnen müssen. Leicht ist das nicht. Gerade mal 3.900 Zuschauer faßt die mit 550.000 DM (Finanzier: DDR- Innenministerium) aufgepäppelte Eishalle im Stadtteil Hohenschönhausen, für Bundesligaverhältnisse zu wenig. Preußen Berlin, die Konkurrenz im Westteil der Stadt, klagt trotz einer Kapazität von 6.065 seit Jahren über zu geringe Zuschauereinnahmen.
Noch sind die Dynamos gelassen. Kommende Woche werden erste Gehaltsverhandlungen mit den Spielern geführt, auch die wissen derzeit noch nicht, was sie erwartet. Was aber, wenn einer wie Bielke nicht das erhält, was Vereine wie Rosenheim oder Köln ihm zahlen könnten?
Von solchen Gedanken war am Freitag erst mal nicht die Rede. Lieber feierte man das Ende von „20 Jahren Schmalspur-Eishockey“ (DDR-Nachrichtenagentur 'adn‘) und labte sich am Lob über den guten sportlichen Einstand. DEG-Trainer Zach: „Hier werden sich noch einige Mannschaften wundern.“
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