: Vopo dreht ihre Akten durch den Reißwolf
Ostberliner Volkspolizei macht tabula rasa mit ihrer Vergangenheit/ Innensenator Pätzold protestiert heftig ■ Von CC Malzahn
Berlin (taz) — Die Ostberliner Volkspolizei (VP) jagt zur Zeit ihre in Akten festgehaltene Vergangenheit durch den Reißwolf: Der taz liegt eine Anweisung des stellvertretenden Polizeipräsidenten und Stabschefs der VP, Preiß, vom 12. September vor, nach der alle bisher geheimgehaltenen „Verschlußsachen in eigener Zuständigkeit“ bis zum 5.Oktober 1990 vernichtet werden sollen. Wie ein Sprecher der Ostberliner Innenverwaltung der taz auf Anfrage erklärte, handelt es sich bei diesen Unterlagen um „äußerst brisantes historisches Material“, das zum großen Teil noch aus der Ära Honecker stamme.
So befänden sich in den Akten unter anderem Einsatzbefehle, politische Einschätzungen und Einsatzprotokolle. Aus den Unterlagen könnten auch Rückschlüsse auf die Beteiligung bestimmter Personen an Polizeiaktionen — beispielsweise Einsätze gegen Oppositionsgruppen — geschlossen werden. Sowohl der Ostberliner Innenstadtrat Thomas Krüger (SPD) als auch der Westberliner Innensenator Erich Pätzold (SPD) haben gestern heftig gegen den Vorgang protestiert.
Pätzold, der am 3. Oktober von Innenminister Diestel die Polizeihoheit für Ost-Berlin übertragen bekommt, zur taz: „Ich kann nur jeden davor warnen, auch nur ein Blatt Papier zu vernichten!“ Pätzold weiter: „Ich kann mir nicht vorstellen, daß Diestel davon nichts weiß.“ Wenn Diestel die Aktion angewiesen habe , werde er sich für diesen „unglaublichen Vorgang“ verantworten müssen. Pätzold vermutet, daß auch der Ostberliner Polizeipräsident Bachmann Kenntnis über den Vorgang hat.
Der Sprecher des Ostberliner Innenstadtrats Krüger, Engelke, kritisierte die Reißwolfaktion, weil sie jede Aufarbeitung und Recherche der Vergangenheit der Polizei unmöglich mache. „Das ist historische Entsorgung, keine historische Aufarbeitung“, meinte er weiter. Die Vernichtung der geheimen Unterlagen sei „Öl ins Feuer der allgemeinen Verunsicherung in der DDR“. Unter solchen Umständen könne kein Bürger den verantwortlichen Politikern mehr glauben. Statt endlich Transparenz herzustellen, werde schon wieder verschleiert.
Neben den bisher geheimen Unterlagen ist in dem Schreiben, das an alle Ostberliner Polizeidienststellen gegangen ist, auch die Vernichtung aller offenen Weisungen und Dienstsiegel angeordnet worden. Noch vor einer Woche hatte Innensenator Pätzold die Ostberliner Polizei davor gewarnt, sich an irgendwelchen Unterlagen zu vergreifen.
Innenstadtrat Krüger will heute in einem Brief an den DDR-Premier de Maizière um „Aufklärung des Sachverhalts“ und eine politische Stellungnahme zu dem Vorgang bitten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen