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„In naher Zukunft wird es 100 oder 150 gemeinsame Projekte geben“

■ Yoshio Taniguchi gab im Juli seinen Posten als Vize-Generaldirektor der Mitsubishi Corporation auf und wurde Vorsitzender des „Daimler-Benz-Projektes“ bei Mitsubishi INTERVIEW

Bis vor zwei Monaten war Yoshio Taniguchi die unumstrittene Nummer zwei der Mitsubishi Corporation, Japans größtem Handelshaus. Diese Stellung verdankte Taniguchi seinem Koordinationsgeschick innerhalb der Firma, der er seit 36 Jahren angehört.

Völlig überraschend wechselte Taniguchi jetzt noch einmal seine Aufgabe und sprang als Leiter des sogenannten „Daimler-Benz-Projektes“ für Mitsubishi ein. Eine Entscheidung, die offenbar auf Taniguchis einzigen Vorgesetzten, Mitsubishi-Boß Morohashi, zurückgeht, der sich für die Zusammenarbeit mit Daimler eine Schlüsselfigur reservieren wollte.

taz: Herr Taniguchi, wir wissen, daß Sie unsere individualistische Denkart nicht teilen. Gestatten Sie dennoch eine persönliche Frage: Wie kommt es, daß ein Mann wie Sie, bisher Vize-Chef des Gesamtunternehmens Mitsubishi Corporation, alles hinschmeißt und sich plötzlich nur noch um ein einziges Projekt kümmert, dafür all seine Kraft und all seinen Einfluß verwendet?

Yoshio Taniguchi: Es ist in der Tat fragwürdig, hier persönliche Gedanken zu äußern. Die Bedeutung solcher Gedanken ist deshalb so gering, weil es unmöglich ist, ein großes Projekt allein zu betreiben. Dennoch war ich persönlich beeindruckt, als ich im vergangenen November mit Edzard Reuter sprach. Reuter sagte damals folgendes: Auch Daimler könne im 21. Jahrhundert nicht überleben, wenn man nur Autos baue. Es gebe drei Bereiche, die die Zukunft bestimmten, nämlich die neuen Werkstoffe, die neuen Kommunikationsmittel und die Mikroelektronik einschließlich der Halbleitertechnik.

Ohne die Entwicklung dieser Bereiche könnten auch so große Unternehmen wie Daimler nicht viel von der Zukunft erwarten. Ich glaube, das trifft auch auf uns zu.

Noch nie hat die Mitsubishi Corporation, die mit allen namhaften Firmen dieser Welt Geschäfte macht, einen eigenen Vize-Chef und ein eigenes Büroteam einzig für die Aufgabe abgestellt, die Zusammenarbeit mit einem anderen Unternehmen zu entwickeln. Was macht die Sache mit Daimler-Benz so besonders?

Die Daimler-Gruppe hat 380.000 Angestellte und besteht aus vielen verschiedenen Firmen. Das ist ein großer Elephant. Es ist nicht leicht für uns, dieses ganze Spektrum kennenzulernen, und umgekehrt genauso. Deshalb gibt es nun auf beiden Seiten die Projekt-Teams.

Wir müssen genau erfahren, welche Produkte und Technologien im Programm des anderen bereits vorhanden sind. Die Führungen müssen richtig beraten sein.

Warum fühlt sich Ihre Führung ausgerechnet beim Partner Daimler-Benz richtig beraten?

Mitsubishi arbeitet auch mit US-Firmen zusammen, z. B. mit Westinghouse oder United Technologies. Es war immer unser Bestreben, mit den größten Firmen dieser Welt zusammenzuarbeiten. Und Daimler, der Riese in Deutschland, war nur zufällig noch nicht dabei.

Aufgrund seiner Erweiterung in den letzten Jahren läßt sich außerdem sagen, daß Daimler heute eine ähnliche Organisation wie Mitsubishi besitzt.

Die neugegründeten Daimler-Benz InterServices1 nehmen dabei eine ähnliche Rolle wie unser Handelshaus ein. Daimler ist also ein guter Partner für uns.

Viele sind überzeugt, daß Sie kaum einen besseren finden können. Der Chef Ihrer Schwesterfirma Mitsubishi Heavy Industries, Yotaro Iida, pries die Zusammenarbeit mit Daimler vor wenigen Wochen gegenüber unserer Zeitung als „Grundstein für eine neue Weltfreundschaft“. Doch in den USA und anderswo gibt es auch Bedenken, wenn Deutsche und Japaner wieder Feste feiern.

Diese Kritik hat uns überrascht. Wir wollen zusammen mit Daimler neue Technologien entwickeln, und das in einer friedlichen Zeit. Doch die Medien in der ganzen Welt berichten nur über die historisch-politischen Aspekte in Anlehnung an die Vergangenheit. Mich interessieren diese Gesichtspunkte nicht. Für mich ist die Sache ein Geschäft. Ein Mercedes erinnert mich doch nicht an den Krieg!

Als Sie im März dieses Jahres die Weltöffentlichkeit von den ersten Daimler-Mitsubishi-Gesprächen unterrichteten, formulierten Sie den schönen Satz: „Wir haben gerade erst ein Lächeln ausgetauscht.“ Was ist heute aus dem Lächeln geworden?

Es geht schnell voran. Nach dem Spitzen-Treffen im März habe ich im Mai die ersten sieben Projekte vorgestellt, an denen wir gemeinsam arbeiten, u.a. eine Autofabrik in der Sowjetunion. Herr Reuter hat das gleiche Programm kurz darauf in Bonn unterbreitet.

Man hatte mehr erwartet.

Wir beschränken uns keinesfalls auf die genannten sieben oder acht Projekte. In naher Zukunft wird sich die Anzahl der gemeinsam anvisierten Projekte auf 100 oder 150 steigern.

150 Kooperationsprojekte sind kein Pappenstiel. Ist die Zahl seriös?

Damit meine ich nur, daß es sehr viele sein werden. Es könnten sogar tausende werden.

Welche Spannbreite umfassen die Projekte? Ist die Schlüsselindustrie Luftfahrt darin enthalten?

Wir reden über alles. Die Luftfahrt ist eine Zukunftsindustrie. Boeing, Douglas, General Dynamics und Airbus sind die Marktführer. Wir in Japan haben zwar die Technologie, aber nicht den benötigten Markt.

Für uns ist es deshalb besonders wichtig, mit dieser Technologie gemeinsam mit anderen ins Geschäft zu kommen.

Wann sind die ersten gemeinsamen Projekte zwischen beiden Firmen unterschriftsreif?

Schon in diesem Jahr werden wir einige Pläne konkretisieren. So gut und zuverlässig wie jede Firma alleine arbeitet, so gut und zuverlässig läuft heute das Gespräch zwischen beiden. Hindernisse gibt es nur im internationalen Rahmen, beispielsweise für Projekte in der DDR oder in der Sowjetunion.

Jetzt strahlen Sie Optimismus aus!

Wir haben erst vor sechs Monaten begonnen. Damals hatte man nur beim Autovertrieb in Japan gemeisame Erfahrungen gemacht. Erst im dann einsetzenden Planungsprozeß, den seither unser Projektteam führt, haben wir mehr und mehr Möglichkeiten entdeckt.

Worin liegen die Gründe für die rasche Annäherung?

Sowohl in den menschlichen Kontakten als auch in der Bereitschaft der Unternehmensführungen. Unsere Führung hält die Zusammenarbeit mit Daimler für wichtig. Darüberhinaus stelle ich fest, daß sich beide Führungen in Stuttgart und Tokio gut verstehen und im gemeinsamen Willen die Arbeit vorantreiben.

Wichtige Entscheidungsgänge brauchen in japanischen Unternehmen oft lange Zeit, manchmal Jahre. Man arbeitet mit dem Konsensprinzip, das gilt gerade auch für Mitsubishi. Ist es nicht beinah unglaubhaft, wenn sich das Riesenunternehmen Mitsubishi im Daimler-Fall plötzlich so entschlußfreudig zeigt?

Ihre Zweifel sind gestattet. Aber hier liegen die Vorteile der Kooperation doch offenbar. Nehmen wir beispielsweise ein Forschungsprojekt, in dem sich beide Seiten die Kosten teilen. Vermeidet man hinterher Überschneidungen, arbeiten beide Unternehmen doppelt effektiv. Mit doppelter Mannschaft geht die Arbeit außerdem viel schneller voran.

Bisher konnte der Eindruck entstehen, daß die Initiative für die Zusammenarbeit vor allem von deutscher Seite ausgeht. Das Treffen in Singapur ging auf Edzard Reuter zurück. Ist dieser Eindruck heute noch richtig?

Daimler hat tatsächlich den Anfang gemacht. Sie hatten die Möglichkeiten der Kooperation mit Japan bereits zuvor studiert und auch andere Firmen in Erwägung gezogen, falls Mitsubishi kein Interesse zeigen sollte. Inzwischen aber läuft die Zusammenarbeit gleichgewichtig, die Vorschläge kommen von beiden Seiten. Ich würde sagen: 50 zu 50.

Welche Vorschläge hat Mitsubishi eingebracht?

Das bleibt noch geheim. Doch Sie können sicher sein, daß es uns an Ideen nicht mangelt.

Die Mitsubishi-Gruppe ist im Gegensatz zur Daimler-Benz-Gruppe keine feste Holding-Gesellschaft. Alle Mitsubishi-Unternehmen sind formell selbständig. Auch deshalb gab es Zweifel, ob die Mitsubishi-Gruppe den für die Kooperation mit Daimler-Benz nötigen Zusammenhalt bewahrt.

Am Anfang hatten wir die gleichen Bedenken. Unsere Befürchtung war, daß wir, also die Mitsubishi Corporation, die Sache vorantreiben und die anderen drei2 nicht folgen. Aber inzwischen haben alle Firmen ihre Möglichkeiten in der Zusammenarbeit entdeckt, und unsere Bedenken sind ausgeräumt.

Sind Sie als Leiter des Daimler-Benz-Projektes im Haus der Mitsubishi Corporation auch für die anderen Mitsubishi-Unternehmen tätig?

Ich vertrete gegenüber Daimler alle vier Firmen. Andernfalls würde die Kommunikation zu kompliziert.

Wenn Ihr Unternehmen erfolgreich ist, dürften sich die Maßstäbe der Weltwirtschaft verändern?

Alle gucken uns mit eigenen Interessen zu. Frankreich und England sorgen sich über ein großes Deutschland. Die USA haben Angst, wenn Japan mit ihnen in der Luftfahrt konkurriert. Aber wir befinden uns in einem Zeitalter ohne Ländergrenzen. Die Welt wird künftig so aussehen, daß gute Waren überall produziert und überall verkauft werden. Entscheidend ist dann das Wissen über die Technologie. Wer die nicht besitzt, wird zugrunde gehen.

2Außer der Mitsubishi Corporation auch die Mitsubishi Motors Corporation, Mitsubishi Heavy Industries und Mitsubishi Electric. [d.Red.]

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