: Teddy McCarthy, das Multitalent
Kein Respekt vor dem Alter: Das dezimierte Cork besiegt im Endspiel um die Gaelic-Football-Meisterschaften die Favoriten aus Meath und holt das gaelische Double ■ Aus Dublin Ralf Sotscheck
Der dritte Sonntag im September gehört in Irland seit jeher dem „Gaelic Football“. Daran haben auch die Erfolge der irischen Fußballnationalmannschaft bei der Weltmeisterschaft in Italien nichts ändern können. Trotz des ähnlichen Namens haben die beiden Sportarten wenig miteinander gemein.
Beim gaelischen Fußball darf der Ball mit der Hand gespielt, muß jedoch mit dem Fuß vom Boden aufgenommen werden. Die Regeln über die Behandlung des Gegners sind recht großzügig: Sie erinnern an Rugby oder Eishockey. Ein Team besteht aus 14 Feldspielern und einem Torwart. Ziel des Spiels ist es, den Ball im Tor der anderen Mannschaft unterzubringen. Das zählt drei Punkte. Geht der Ball über die Querlatte zwischen den verlängerten Pfosten, gibt es einen Punkt. Diese Regel sorgt dafür, daß ein gaelisches Fußballspiel für die Torhüter zu einer unendlich langweiligen Angelegenheit werden kann: Sie sind praktisch zu Balljungs degradiert, wenn der Ball in zehn Meter Höhe über sie hinwegschwebt — zum Punktgewinn für den Gegner.
Die gaelischen Sportarten — neben Football gibt es Hurling, ein entfernter Verwandter des Hockey, jedoch wesentlich kampfbetonter — sind Ende des vergangenen Jahrhunderts von der Gaelic Athletic Association (GAA) wiederbelebt worden, nachdem sie von den englischen Besatzern fast ausgerottet waren.
Sport und Rebellion gehörten daher von Anfang an zusammen. Polizisten, Gefängniswärter und Soldaten durften nicht der GAA beitreten. Den Mitgliedern war es verboten, sich „barbarische englische Sportarten“ wie Rugby, Fußball oder Cricket auch nur anzusehen.
Bereits 1890 hatte der englische Geheimdienst einen Agenten auf sämtliche GAA-Veranstaltungen angesetzt. Nach einem IRA-Attentat im Jahr 1920 traf die britische Rache nicht zufällig den Croke Park, das Nationalstadion der GAA in Dublin. Die Soldaten erschossen während des Hurling-Endspiels 13 Menschen, darunter den Kapitän des Finalisten Tipperary.
Vorgestern ging es unter den Augen der kirchlichen und weltlichen Prominenz friedlicher zu. Der Croke Park war mit 66.000 Zuschauern bis auf den letzten Platz gefüllt. Eine Segregation der Fans war nicht nötig: Man tauscht Souvenirs, Tips und vor allem Alkoholika bereitwillig untereinander aus. Die beiden Endspielteilnehmer, Cork und Meath, machen den irischen Footballmeister bereits seit vier Jahren unter sich aus.
Für Statistiker war das Finale ein gefundenes Fressen. Cork hatte nämlich vor zwei Wochen bereits das Hurling-Endspiel gewonnen. Das „Double“, den Gewinn beider gaelischer Meisterschaften in einem Jahr, war Cork bisher ein einziges Mal vor genau hundert Jahren geglückt. Darüber hinaus stand mit Teddy McCarthy ein Multi-Talent im Cork- Team: Er war vor zwei Wochen auch Mitglied der siegreichen Hurling- Mannschaft. Bisher hatte noch kein Spieler beide Finale in einem Jahr gewonnen. Meath war jedoch Favorit. Zwar waren sich die Experten einig, daß die durchschnittlich ältere Mannschaft aus Meath langsamer und technisch schwächer sei, doch Cork galt als „verweichlicht“.
Das Team belehrte die Experten jedoch eines Besseren. Cork legte los wie die Feuerwehr und erzielte Punkt um Punkt. Kapitän Larry Tompkins hätte den Vorsprung sogar noch ausbauen können. Er traf jedoch nur die Querlatte — ein höchst tragisches Mißgeschick, weil es überhaupt nichts zählt. Vor allem im Mittelfeld bekam Meath kein Bein auf die Erde. Kurz vor der Pause — eine Halbzeit dauert 35 Minuten — versetzte Corks Mittelstürmer Colm O'Neill seinem Gegenspieler einen Kinnhaken, weil dieser den Ball nach einem Foul nicht rausrücken wollte. Das ist selbst im Gaelic Football verboten: O'Neill mußte vom Platz. Danach konnte Meath etwas aufholen, so daß Cork bei Halbzeit mit nur einem Punkt führte.
Nach der Pause schien es, als ob Cork einen Spieler mehr auf dem Feld hatte. Man hatte nicht den Eindruck, daß die Mannschaft das Spiel noch verlieren könnte, obwohl der Vorsprung nie mehr als drei Punkte betrug. Das wäre theoretisch mit einem Tor aufzuholen gewesen, doch Meath unternahm nicht einmal den Versuch. Bei einem Freistoß aus günstiger Position kurz vor Schluß begnügte sich Meath-Kapitän Colm O'Rourke mit einem Punkt und jagte das Leder in die Wolken. Das mittelmäßige Spiel endete 11:9. Tore gab es nicht.
Nach dem Schlußpfiff brach das Chaos aus. Ein Zaun um das Spielfeld sollte die Fans am Stürmen hindern. Lediglich Rollstuhlfahrer durften vor dem Zaun am Spielfeldrand sitzen. Die waren dann jedoch die ersten, die auf den Platz rasten. Minuten später gab auch der Zaun nach und das Feld war von den rot- weißen Fahnen aus Cork überschwemmt. Es wurden sogar amerikanische, schweizer und Rot-Kreuz- Fahnen geschwenkt: Hauptsache, die Farben stimmten.
Tompkins grüßte in seiner Rede direkt nach dem Spiel die Auswanderer aus Cork in New York, Boston, London und Canberra. Das Spiel war live in (fast) alle Welt übertragen worden. Für die Kneipen rund um das Stadion war es wieder mal das Geschäft des Jahres. Viele mußten wegen Überfüllung schließen. Der singende Corker Dialekt, gefärbt von alkoholisiertem Lallen, war noch bis in die frühen Morgenstunden in Dublin zu hören.
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