: „Osteuropa liegt uns näher als Lateinamerika“
■ Vor der IWF-Weltbank-Tagung: Banken wollen gezieltere Geldströme
Frankfurt (dpa/taz) — Die Umwälzungen in Osteuropa haben in den Köpfen führender deutscher Bankmanager die achtjährige Schuldenkrise Lateinamerikas in den Hintergrund gerückt. War noch vor Jahresfrist ein heftiger Streit um die Streichung der Schulden beim Testfall Mexiko entbrannt, hat sich die Diskussion jetzt beruhigt. Aber nach wie vor führen Brasilien, Mexiko und Argentinien die Liste der Schuldenländer an, die insgesamt mit 1,2 Billionen Dollar (derzeit etwa 1,9 Billionen DM) in der Kreide stehen.
Der Schuldenmanager einer Großbank gibt zu: „Osteuropa liegt uns näher als Lateinamerika“. Er warnt jedoch davor, über den Blick nach Osten die alten Bindungen an den Süden zu vergessen. „Wir haben unsere Lektion gelernt“, meint er zum Vorwurf an die Banken, sie hätten den Schuldenberg Lateinamerikas mit einem zu großzügigen Finanzsegen in den 70er Jahren selbst mit verursacht. Die Geldströme nach Osteuropa würden vorsichtiger gelenkt.
Als „gelungener Fall“ bei der Bewältigung der Schuldenkrise wird Mexiko von deutschen Bankiers dargestellt. Zwar hätten sich die Verhandlungen als sehr zäh erwiesen und mehr als zehn Monate gedauert. Aber der Forderungsverzicht von 35 Prozent der Kredite habe für erhebliche Entlastung und die gewünschte Signalwirkung gesorgt. Allerdings sei Mexiko nicht — wie die Problemländer Brasilien und Argentinien — ein säumiger Schuldner gewesen.
Für die künftige Schuldenstrategie schwebt deutschen Finanziers ein Abrücken von der einheitlichen Marschroute aller westlichen Banken vor, das zu langwierig sei. Mit neuem Geld sind sie ohnehin vorsichtig geworden. Künftig sollen mehr öffentliche, IWF- und Weltbankmittel eingesetzt werden. Vom gesamten Kreditberg in Höhe von 1,2 Billionen Dollar entfallen noch 45 Prozent oder 562 Milliarden Dollar auf die Banken, wovon 488 Milliarden Dollar als ungedeckt gelten.
Allerdings hat die Weltbank soeben bekanntgegeben, ihre Mittelvergabe im letzten Geschäftsjahr leicht gesenkt zu haben. Die neuen Osteuropa-Kredite würden aber nicht zu Lasten der Länder in Asien, Afrika und Lateinamerika gehen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen