: Bagdad statt Böblingen
■ Der 56. deutsch-französische Gipfel im Zeichen neuer Allianzen KOMMENTAR
Merci, Saddam! Der Bonaparte aus Bagdad hat mit seiner eigenwilligen Behandlung von Ölscheichs und Rüstungsvertretern unversehens dafür gesorgt, daß die Großmacht Frankreich nicht im schwarzen Loch mauerloser Posthistoire verschwinden muß. Bei ihrem Treffen in München sollen Kohl und Mitterrand die letzten Seiten im Kapitel „Besatzungsmacht Frankreich“ schreiben: die 51.000 französischen Soldaten in West-Berlin und der BRD werden bis 1994 abgezogen, sofern Stoltenberg nicht Extrawünsche äußert. Bleibt also nur zu klären, welche Freiheiten der in die Souveränität entlassene Kanzler den französischen Truppen in der Zwischenzeit einräumt und in welchem Maß er sich an den Kosten beteiligt. Fingerübungen für Technokraten.
Viel entscheidender für Mitterrand ist die Frage, wie nach der Implosion des Ost-West-Konflikts der — unvermeidbare — Verlust von Hoheitsrechten im Osten aufgehoben werden kann. Und da kommt Hussein zur rechten Zeit und am rechten Ort. Denn wie könnte die Notwendigkeit einer eigenen, von Washington unabhängigen europäischen Außenpolitik (und Politik ist in Frankreich immer eine Sache der Gewehrläufe, nicht der Portemonnaies) besser gezeigt werden, als unter Verweis auf die Krise am Golf? Deutsch-französische Brigaden in Böblingen? Unsinn: Nach Bahrein, nach Bagdad damit! Schließlich sind deutsch-französische Freundschaften, was die Diplomatie angeht, noch immer gegen gemeinsame Feinde entstanden.
Wichtiger als der Gipfel in München ist deswegen für Paris das gleichzeitig stattfindende Außenministertreffen in Brüssel und die heutige WEU- Tagung, wo Außenminister Dumas versuchen möchte, seine Kollegen zu einer „gemeinsamen Aktion“ in Sachen Golf zu überreden. Denn nur wenn die westeuropäischen Regierungen ihre diversen Golf-Aktivitäten koordinieren, kann Frankreich dort als Militärmacht auftreten, ohne sich im Falle eines Falles amerikanischem Oberkommando unterwerfen zu müssen — letzteres eine Aussicht, die in Paris als grober faux pas gewertet werden würde. Zumal im Jubiläumsjahr de Gaulles. Alexander Smoltczyk
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