piwik no script img

Die Kunst der Landnahme

■ Der »Berliner Ring« im Kunstforum der Grundkreditbank

Gebt Raum! Gebt Raum/ Unserem Schritt!/ Wir wälzen den plumpen steinernen Leib darüber/ Die Dörfer, die Felder, die Wälder, wir nehmen sie mit!« schrien die grauen Häuser in einem Gedicht Armin T. Wagners von 1929. Da führt die Stadt Krieg gegen das Land, fraß es auf wie ein nimmersatter Moloch.

Ein friedlicherer Hunger nach Landschaft als ästhetischem Objekt trieb drei Westberliner Stadtmaler und eine Fotografin vor drei Jahren hinaus in den Berliner Ring, die Landschaft, die durch den Autobahnring durchkreuzt wird. Peter Berndt, Bert Düerkop, Wolfgang Rohloff und Elke Nord — alle auch zeitweise Lehrende an der Hochschule der Künste in Berlin — fuhren seit 1987 nach Caputh und Hennigsdorf, Königs Wusterhausen und Oranienburg, Velten und Werder. So entdeckten die Künstler den unspektakulären Landschaftsgürtel der Alleen und gepflasterten Straßen, Dörfer und Seen, LPGs und Armeen kurz vor der Meute der vom Pfadfindergeist infizierten Berliner wieder. Daß ihr Projekt, den gemalten und fotografierten Berliner Ring in einer Ausstellung zu zeigen, ergänzt um eine historische und poetische Bestandsaufnahme im zugehörigen Buch, nun erst etliche Monate, nachdem der Ring wieder allgemein zugänglich geworden ist, mitten im neuen Boom der Heimatkunde veröffentlicht wird, stiehlt den Autoren zwar die Schau, sich als Entdecker zu geben. Dafür aber gewinnen die Bilder den Wert einer Momentaufnahme im letzten Augenblick, einer ästhetischen Bewahrung kurz vor dem Umbruch. Unterstützt durch die begleitenden Texte über die Geschichte des Rings, unter denen sich auch Wagners Gedicht über den aggressiven Moloch Stadt findet, wird vor dem Hintergrund der nun zu erwartenden ökonomischen und infrastrukturellen Veränderungen aus dem Landschaftsporträt Berliner Ring eine Beschwörung, das nun wieder zugängliche Umland nicht an Euro-Märkte und Disneylands zu verramschen oder als Schlafstadt und Müllabladeplatz zu verschandeln.

»Nichts geschieht in der Stadt/ Alles geschieht auf dem Lande/ Das Zentrum erzählt nur, was im Ring geschehen ist« — mit diesen drei Sätzen, die die gewohnte Perspektive des Städters umkehren, endet die Erzählung Im Grenzgebiet, warum zu Hause von Helga Schütz über ihr Leben in Potsdam und die merkwürdige Vertrautheit mit der Mauer im Garten. Stefanie Endlichs historische Skizze über den Berliner Ring beschreibt, wie die Ressourcen des Umlandes im 18. und 19. Jahrhundert erst die Entstehung der städtischen Kultur ermöglichten. Die Peripherie nährt die fette Spinne in ihrem Zentrum, versorgt sie mit landwirtschaftlichen Produkten und Baustoffen. Daß das Umland den Städtern bis zur Einmauerung West-Berlins als Ausflugsort diente, war immer gegenwärtig; daß dort auch weiterhin der Müll entsorgt wurde, war immerhin bekannt. Verdrängt aber scheint aus dem Westberliner Gedächtnis die Geschichte der Industriestandorte und frühen Schlafstädte, der Rüstungskonzerne und Konzentrationslager, der Kasernen und militärstrategischen Straßenplanung. Der Autobahnring war Teil der faschistischen Stadtplanung als politischer Demonstration der Stärke. Der Verschlafenheit, nun schon wieder exotischen Armut und Einsamkeit des Berliner Rings ging nicht nur eine ländliche Idylle voraus, der durch die Abtrennung von West-Berlin die Wege des wirtschaftlichen und kulturellen Austausches zerstört wurden.

»Das Zentrum erzählt nur, was im Ring geschehen ist«, könnte als utopische Devise dienen, um Berlin in seiner akuten Hauptstadtsucht an seine historische und neu entstehende Abhängigkeit vom Umland zu erinnern und zu ermahnen, sich nicht erneut als ein verschlingendes Ungeheuer zu gebärden.

Doch von diesen neuen Befürchtungen und alten Geschichten findet sich wenig in den Bildern der Maler und der Fotografin. Im Ring, in den sie sich begaben wie die Märchenhelden auf Glückssuche, schien die Zeit stillzustehen. Nichts geschah dort. Nichts bewegte sich außer dem schweifenden Blick der Maler. Die Landschaft hielt still, um sie hindurchzulassen. Da konnten sie sich wie die Prinzen hineinbegeben und ihre Schöne wachküssen. Gegenüber dem Objekt Landschaft wurden sie wieder ganz zu künstlerischen Subjekten. So umschließen denn auch ihre Bilder, im Rund des Kunstforums Rahmen an Rahmen zum nahtlosen Panorama gefügt, Besucher und Besucherin wie eine Dornenhecke.

Berndt ließ sich von der Zeitreise durch die Ringdörfer und Kleinstädte in einer Malweise bestärken, die an die expressiven Landschaften van Goghs, Munchs und Vlamincks anknüpft. Baumäste flammen zwischen den Häusern und längs der Alleen in den Himmel, Dächer leuchten kräftig rot, auf matschigen Straßen und in spiegelnden Pfützen verschmelzen Himmel und Erde. Wind und Regen sind in die kräftigen Pinselstriche gefahren. Oft bestimmen kurvige und menschenleere Straßen, die zwischen den niedrigen Häusern verschwinden, den Bildaufbau. So wird immer wieder die Situation des Ankommenden, der doch noch weiter um die nächste Ecke biegen möchte, beschworen.

Auch in Rohloffs Reliefbildern küssen sich Himmel und Erde, schrumpfen Schneezäune, Häuser, Stege und andere Spuren der Menschen zu farbigen Puzzleteilchen zusammen, die sich ins Patchwork der Landschaft aus Erdschollen, Bodenwellen, spiegelnden Wassern, Wolken und Baumkronen schmiegen. Zur Landschaft wird alles, atmet erdige Nässe und kühle Luft. Rohloff wühlt sich in der Erde, genießt das Schlammbad, das Aufbrechen jeglicher Glätte und übersetzt diese rauhen und porösen Flächen in Schichten von Holz, gesteppten Stoffen, Pappe und Farbe, daß die Bilder selbst die Materialität eines schweren und schrundigen Stücks Erde erhalten.

Als gebaute Kulturlandschaft wird der Ring am ehesten bei Düerkop erfahrbar. Er durchkreuzt die Farbflächen mit dicken Konturen. Ein Steg, ein Schienenstrang, eine aus der Achse gekippte Häuserzeile dienen ihm als rhythmisierende Kompositionselemente abstrakter, trudelnder, farbiger Raster.

Über das Muster der Pflastersteine, Treckerspuren auf erdigen Wegen, Schneereste, des Winds in den Pfützen, der Grasinseln und des Laubs auf sandigem Grund, über mit Holzabfällen übersäten Boden und Unkraut, das zwischen Steinen und Schienen wieder Wurzeln schlägt, gleitet der Blick in der Vor-Ort-Fotografie Elke Nords, ehe er aufsteigt an Baumrinden, zerfallenem Fachwerk und bröselndem Putz. Wie den Maler Rohloff reizt sie die spröde Materialität, die Brechung der Flächen. Viel Wasser, viele leere Straßen. In den dreißig Kästen mit Fotografien, die man zu jedem der aufgenommenen Orte langsam durchblättern oder hastig durchwühlen kann, wiederholen sich die Seeufer, Kirchturmspitzen, baumbestandenen Kanäle, und mit den Wiederholungen wächst die Vertrautheit. Die Topographie, kleinteilig zersplittert, läßt sich im Detail besehen, schreibt kein Tempo vor. Sie verlangt nicht, im ganzen durchmessen und erfaßt zu werden. Ihr fotografisches Abbild läßt sich noch mit einer Muße erkunden, die leider schon zur ästhetischen Illusion geworden ist. Katrin Bettina Müller

Berliner Ring, Buch der Berliner Festwochen. Herausgegeben von Ulrich Eckhardt, Stefanie Endlich und Rainer Höynck. Mit Texten von Helga Schütz, Heinz Knobloch, Daniela Dahn.

Berliner Ring, Ausstellung von Peter Berndt, Bert Düerkop, Wolfgang Rohloff und Elke Nord. Im Kunstforum der Grundkreditbank bis zum 7. Oktober täglich von 10 bis 19 Uhr.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen