: Auf die Straße um fünf vor zwölf
■ Ziel der Frauendemo mußte wegen Trödelei und Urlaub umgewidmet werden
Berlin (taz) — Die Demonstration beginnt fünf vor zwölf — Symptomatisch für den gewählten Zeitpunkt, den 29. September 1990. Drei Tage vor der deutschen Einheit will das erste Frauenbündnis aus Ost und West gegen „die Bonner Anschlußpolitik“ auf die Straße gehen. Trotz viel Solidarität auf der weiblich dominierten Pressekonferenz mußten sich die Vertreterinnen vom Unabhängigen Frauenverband, vom Neuen Forum, von Alternativer Liste, PDS und den Jusos die Kritik gefallen lassen, die „zentrale Demo“ käme doch wohl etwas spät.
„Ich habe im Urlaub erfahren, daß die Vereinigung am 3. Oktober stattfindet“, rechtfertigt Barbara Ritter von der Initiative „Frauen gegen §218“ das lange Zögern des ganzen Bündnisses. Die Demo sei „die letzte Gelegenheit vor dem 3. Oktober“ — aber, wie tröstlich: Viele Aktionen sollen folgen. Bisher von der Geschwindigkeit der politischen Entwicklungen überrollt, will frau jetzt die „politische Entwicklung der nächsten Jahre mit beeinflussen“, so Juso-Vorsitzende Susi Möbbeck.
Der Ausgangspunkt der Demopläne war die Ablehnung des Paragraphen 218. Da auf diesem Feld die Würfel erst einmal gefallen sind, wollen die Demonstrantinnen jetzt fordern, daß das vereinigte Deutschland wirklich ein „neues Deutschland“ wird: Abrüstung, soziale Absicherung von Frauen und weitere Wehrdienstfreiheit in West-Berlin stehen auf dem Aufruf. Heim- und Herd-Ideologie soll in der DDR gar nicht erst aufkommen; Mutterschaft und Berufstätigkeit sollen vereinbar werden.
Ines Peter vom Unabhängigen Frauenverband zum §218: „Problematisch ist, daß viele Frauen in der DDR die zweijährige Fristenregelung als Erfolg sehen.“ Schon jetzt sei absehbar, daß sich genügend Ärzte in der DDR finden werden, die keine Schwangerschaftsabbrüche mehr vornehmen werden.
Die Demonstration beginnt am Westberliner Mehringplatz und endet gegen 13 Uhr im Lustgarten mit Kundgebung und Kultur. Übrigens: Auch Männer dürfen mitmarschieren. km
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen