piwik no script img

„Mädchenarmee in Schwesternkitteln“

■ Pflichtjahr: Wohlfahrtsverbände ablehnend / Senat hält sich bedeckt

Die Diskussion um das Pflichtjahr ist wieder da. Mitten hinein in die Diskussion um Pflegenotstand und die Verkürzung von Wehr-und Zivildienst warfen einige eher unbekannte Politiker von FDP und CDU das historisch belastete Stichwort. Aktuelle Variante der Pflichtjahr-Debatte, die auch in der Nachkriegszeit schon mehrfach Auferstehung feierte (s. Kasten unten): die „Gleichberechtigung“ muß dafür herhalten, daß Frauen wieder einmal als Lückenbüßerinnen herangezogen werden. Sollten sie Mitte der 80er Jahre noch die durch den Pillenknick gefährdete Natostärke der Bundeswehr sichern helfen, soll jetzt der drastische Pflegenotstand in allen sozialen Bereichen durch eine „Mädchenarmee in Schwesternkitteln“ (so die niedersächsische Frauenministerin Waltraud Schoppe) behoben werden.

Viele junge Leute lassen sich von der Emanzipationsmasche bluffen (s. die Umfrage, Kasten links) Frauenpolitikerinnen sowie PraktikerInnen aus dem Pflegebereich lehnen das Pflichtjahr aber strikt ab. Die Bremer Gleichstellungsstelle verweist auf den hohen Anteil von unbezahlter Sozialarbeit in Familie und Verbänden, die von Frauen bereits geleistet wird. Und Roswitha Erlenwein, CDU-Frauenpolitikerin, wird sehr energisch, wenn es um das Pflichtjahr geht: „Wenn wir in 50 bis 100 Jahren die Gleichberechtigung haben, können wir über ein Pflichtjahr für Frauen reden. Frauen sind nicht die Feuerwehr der Nation.“ Erlenwein, seit gestern erste Vorsitzende des Deutschen Roten Kreuzes in Bremen, wendet sich auch gegen den DRK-Bundesvorsitzenden Römer, der sich öffentlich für das Pflichtjahr ausgesprochen hat.

Die im Grundgesetz garantierte Freiheit der Berufswahl sieht Albrecht Lampe vom DPWV (Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband) durch die Einführung eines Pflichtjahres verletzt. Die katastrophalen Probleme im Pflegebereich seien gerade mit der Diskussion um den „Pflegenotstand“ ins öffentliche Bewußtsein eingedrungen, die nun mit dem Pflichjahr „totgeschlagen“ würde. Sigrid Helmedach von der Inneren Mission und Mechtild Helms von der AWO, die AbsolventInnen des freiwilligen sozialen Jahres betreuen, sprechen sich für die Freiwilligkeit aus. Unter Zwang wäre die Arbeit „für Patienten, PflegerInnen und BetreuerInnen eine Tortur“.

Weniger eindeutig sind die Zeichen, die Senat und FDP in Bremen aussenden. „Wedemeier will eine zivile Dienstpflicht für Männer und Frauen“, hatte Henning Scherf in einem Interview mit der taz vom 17.9. geäußert. In der Senatspressestelle war dafür weder Bestätigung noch Dementi zu bekommen. „Wir haben uns darüber im Senat noch keine Meinung gebildet“, erklärte Justizsenator Volker Kröning auf Anfrage. „Im Moment ist für mich die Diskussion um ein Pflichtjahr nicht aktuell. Erstmal geht es um die Gleichstellung von Wehr- und Zivildienst.“

Die Bremer FDP sieht da Zusammenhänge. Der FDP-Landesvorsitzende Manfred Richter hält die Zeit für gekommen, „die Diskussion um ein 'Pflichtjahr' für junge Frauen und Männer ernsthaft zu führen.“ Ein soziales Pflichtjahr für Mädchen lehnt die FDP wegen der damit verbundenen „Festschreibung von Rollenklischees“ ab. Was die Liberalen aber „losgelöst vom Wahlkampfgetöse“ diskutieren wollen, ist ein Dienstjahr für Männer und Frauen, wahlweise im sozialen Bereich, im Zivilschutz, im Umweltschutz oder — bei der Bundeswehr.

Annemarie Struß-von Poellnitz

Siehe auch Seite.26)

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen