„Le Kaiser“ und das Volk der Canebiére

■ Beckenbauer im Abseits — Elfmeter für Le Pen?

Paris (taz) — Kaiser, die sich von Schuhverkäufern kaufen lassen, sind auch zu manch anderem Coup zu gebrauchen. Nur knapp zwei Wochen nach Beckenbauers erstem Auftritt in Marseille hat „Olympique“-Trainer Gérard Gili seine Koffer gepackt. Vergrault vom vollmundigen Bayern („Ich bin jetzt der Patron!“) und gerade in dem Moment, wo Marseille unangefochten auf dem ersten Platz der französischen Division thront.

Gili, das ist nicht irgendwer, das ist ein gebürtiger Marseiller, ein Held der Prolo-Viertel im Norden der Stadt. Ein Mann, der den arroganten Parisern gezeigt hat, wozu die angeblich nur pastissaufenden Maulhelden im Süden des Landes fähig sind, der „Olympique Marseille“ zu einem der großen Klubs in Europa hochgetrimmt hat.

Und wohin geht nun dieser Liebling der Canebiére? Ausgerechnet nach Bordeaux, zu den Girondisten und ihrem von den Steuerbehörden gepiesackten Chef Claude Bez — zur historischen Konkurrenz von Marseille. Skandal! Wenn Beckenbauer sein Versprechen nicht einhält, in dieser Saison den Europa-Cup der Landesmeister nach Marseille zu bringen, ja, wenn Olympique in der Division auch nur zurückfallen sollte, würden die Marseiller Fans gegen den Münchener auf die Barrikaden gehen. Marseille ist nicht München — wer hier am sensiblen Lokalpatriotismus herumdoktert, weiß nicht, welche Effekte er auslösen kann. Die Frustration der von ihren Chefs allein gelassenen Marseiller hat zu 30prozentigen Wahlerfolgen der Front National geführt. Beckenbauers Brüskieren des Lieblingstrainers der Stadt könnte einem Populisten wie Le Pen noch etwas mehr Auftrieb geben.

Gutwillige vermuten nur Ignoranz, andere einen geschickten Spielzug. smo