: Kuhhandel vor Gericht
Deutscher Juristentag diskutiert „Deal im Strafverfahren“/ Absprachen gesetzlich regeln ■ Aus München Luitgard Koch
Immer häufiger kommt es zu bei Gerichtsverfahren zu Absprachen zwischen Richter, Staatsanwälten und Verteidigern. Rund 30 Prozent aller Strafverfahren enden vorzeitig mit einem „Deal“. Besonders bei Wirtschaftsstrafverfahren ist diese Methode weit verbreitet. Jüngstes Beispiel dafür, daß Absprachen dazu genutzt werden, das Verfahren einzustellen, ohne vollständig zu ermitteln, ist der Fall des Libyen-Lieferanten Imhausen. Ist dieser „Kuhhandel“ nun rechtswidrig oder erlaubt und sogar notwendig, um der Flut der Gerichtsverfahren Herr zu werden? Diese strittige Frage sowie das Medien- und Berufsrecht beschäftigte den Deutschen Juristentag in München.
Heftige Kritik an der beabsichtigten Legalisierung von Absprachen kam aus der Alpenrepublik Österreich. Der Präsident des österreichischen Obersten Gerichtshofes, Walter Melinizky aus Wien, betonte, daß diese Praxis den österreichischen Gerichten fremd sei. Ihm wurde jedoch entgegengehalten, daß Absprachen sowohl im angloamerikanischen Recht als auch vor spanischen und italienischen Gerichten voll anerkannt seien.
Vor einer Diskriminierung von Absprachen warnte auch der Frankfurter Oberstaatsanwalt Hans-Christian Schäfer. Seine Begründung: Dann würde eben in „einem unkontrollierten Dunkelfeld“ weiter gedealt.
Problematisch wurde von einigen Juristen jedoch vor allem eine etwaige Verletzung des Öffentlichkeits- und des Unmittelbarkeitsgrundsatzes gesehen. Um den Anschein zu vermeiden, daß heimlich gemauschelt wird, einigte sich die Juristenrunde mehrheitlich darauf, daß es zwar opportun sei, sich über das Urteil auch außerhalb der Hauptverhandlung zu verständigen. Doch müßte diese Absprache bei der Hauptverhandlung bekanntgegeben und auch protokolliert werden. Auch in seiner mündlichen Urteilsbegründung soll der Richter die Absprache erwähnen. Egal, ob er sich in seinem Urteilsspruch daran orientiert hat oder nicht. Ebenso soll sie im Schlußantrag des Staatsanwalts vorkommen.
Daß die Schöffen von derartigen Absprachen zum „frühestmöglichen Zeitpunkt“ unterrichtet und einbezogen werden sollten, war fast allen Juristen ein Anliegen. Den Vorschlag trotz Absprache und Geständnis des Angeklagten eine weitere Beweisaufnahme durchzuführen, um damit der Öffentlichkeit zu zeigen, daß dem Angeklagten seine Schuld auch ohne Geständnis nachzuweisen sei, lehnten fast alle der rund 200 Juristen ab. Weniger umstritten war die Strafmilderung bei einem Geständnis. Ein glaubwürdig erscheinendes Geständnis soll schon für sich allein eine Strafmilderung rechtfertigen, so die Diskussionsrunde.
Es gab jedoch auch Stimmen, die sich grundsätzlich gegen eine gesetzliche Zulassung von Absprachen wandten. So sah der Rechtsanwalt Rainer Hamm darin nur „ein Herumdoktern an Symptomen“. Seiner Meinung nach ist die Hauptursache die Überlastung der Strafjustiz. Schuld an dieser Überlastung ist seiner Ansicht nach vor allem das Umweltstrafrecht. Auf einen geradezu fatalen Zustand, der durch die Absprachepraxis entstehen könnte, wies ein weiterer Redner hin: Die Unschuldsvermutung verliert an Gewicht. Denn sobald ein Angeklagter seine Unschuld beteuert, könnte diese Einlassung vom Gericht dahingehend mißverstanden werden, daß der Angeklagte an Absprachen nicht interessiert sei. Die Richter könnten dies als „Störung der Effizienz“ auffassen und mit besonders drakonischen Strafen reagieren. Vehemente Kritik am Gutachten des Freiburger Professors Bernd Schünemann, das als Diskussionsgrundlage diente, äußerte die Münchner Rechtsanwältin, Marion Westphal. Sie wehrte sich vor allem dagegen, daß der Verteidiger von Absprachen einen wirtschaftlichen Vorteil habe. Das Gegenteil sei der Fall. Absprachen seien für den Verteidiger sehr arbeitsaufwendig, so die Rechtsanwältin.
Als grundsätzliche „rechtspolitische Empfehlung“ betonten die Juristen abschließend, daß „Absprachen im Strafverfahren nach geltendem Recht nicht schlechthin unzulässig“ seien.
Besonders befaßten sich die Juristen mit dem Paragraphen 153a der Strafprozeßordnung. Danach kann — wenn Staatsanwalt und Richter sich einig sind — bei „geringer Schuld“ von einer Klageerhebung abgesehen werden und der Angeklagte ohne Hauptverhandlung zu einer Wiedergutmachung in Form einer Geldstrafe oder sonstigen Auflagen verurteilt werden. Dieser Paragraph, so empfehlen die Juristen dem Gesetzgeber, soll nicht ausgeweitet werden. Vor allem die Einschränkung „bei geringer Schuld“ müsse bleiben.
Den Paragraphen ganz aufzuheben, das sollte den Politikern aber auch nicht einfallen. Ebensowenig, wie etwa die „Verständigung über Strafbefehle und Urteile grundsätzlich zu verbieten“. Zwar will man „Auswüchse eindämmen“, strebt aber keine „umfassende gesetzliche Regelung“ an.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen