: Meister im Nachsitzen
■ betr.: Michael Chang
Chang der Kämpfer. Chang das Stehaufmännchen. Chang der Unberechenbare. Ivan Lendl hat ihn in Paris kennengelernt, und nun Horst Skoff in Wien: Fünf-Satz-Erfolg für den US-Amerikaner, damit sind die USA im Finale des Davis Cup. Gegner: Australien, Teilnehmer zum 42. Mal.
Es war ein Thriller mit Nachsitzen, und Michael Chang zeigte sich darin als der wahre Meister. Am Sonntag hatte er bereits mit zwei Sätzen zurückgelegen, ehe er die Backen so richtig aufblies und dem Österreicher Skoff mächtig Wind machte. 4:6 holte er sich den dritten Durchgang, dann brach die Nacht herein übers Praterstadion. Entscheidung vertagt.
17.000 gingen nach Hause, mit ungewissem Gefühl, aber immerhin: Sie waren Zeuge gewesen eines Tennislehrstücks, das so niemand erwartet hatte. André Agassi gegen Thomas Muster, schon da schien bei einem 1:2 Rückstand für Österreich die Sache gelaufen. Von wegen. Der Österreicher sah sich „fehlerlos wie eine Ballmaschine“ spielen und schaffte mit einem glatten 6:2, 6:2, 7:6 den Ausgleich zum 2:2. Nur 2:02 Stunden dauerte das Match, und Agassi, sonst ganz der bunte Individualist, legten sich plötzlich Sterne und Streifen aufs Gewissen: „Ich habe eine ganze Nation enttäuscht.“
Und Muster, der besessene Ballprügler, der bei jedem Schlag stöhnt wie die Seles und die Sabatini zusammen, tobte: „Jetzt machen w i r das 3:2.“ Das war voreilig, denn, wer von Krämpfen geplagt einen Lendl als Verlierer vom Platz schickt, ist zu allem fähig. So wie Michael Chang — 6:3, 7:6, 4:6, 4:6, 3:6 behielt der Gast im umgebauten Fußballstadion in Wien klaren Kopf und die Oberhand.
Trost für die österreichischen Tennisfans: Vier Tage lang spannenden Sport und „La Ola“-Wellen wie am Pazifik. Auch der Verband wird den Fall in guter Erinnerung behalten, wenn die erste Enttäuschung sich gelegt hat: 1,5 Millionen Reingewinn durch einen europäischen Zuschauerrekord im Davis Cup. Reichlich Balsam also. Foto: ap
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