: „Die philippinische Linke profitiert von einer Zuspitzung der Verhältnisse“
■ Jose Maria Sison, der bis heute als Vordenker der philippinischen Linken und Chefideologe der CPP gewürdigt wird, über die politische Zukunft und revolutionäre Bewegungen in seiner Heimat
Jose Maria Sison, Dichter und Revolutionär, war die treibende Kraft hinter der Neugründung der Kommunistischen Partei der Philippinen (CPP) im Jahre 1968, zu deren Vorsitzendem er einstimmig gewählt wurde. Bis zu seiner Verhaftung durch das Marcos-Regime im November 1977 führte er die Partei.
Unter unmenschlichen Haftbedingungen war er neun Jahre lang gefangen, bis die „People's Power“ 1986 die Marcos-Diktatur stürzte und Corazon Aquino an die Macht brachte. Während einer Vortragsreise im Jahre 1988 setzte Sison sich in die Niederlande ab, nachdem die Regierung Aquino seinen Paß für ungültig erklärt und einen Haftbefehl gegen ihn erlassen hatte.
Sison dementiert die Berichte, wonach er den Vorsitz der CPP wieder aufgenommen habe, vehement als „grundlose Anschuldigungen der philippinischen Militärbehörden“. Er versteht sich als „akademischer Beobachter der Situation auf den Philippinen, vor allem der politischen Verhältnisse im Lande“. Zugleich betont er allerdings, daß er sich „immer noch den Bestrebungen des philippinischen Volkes nach nationaler Befreiung und Demokratie verbunden fühle“.
Aufgrund eines Urteiles vom 27. Juli dieses Jahres, können Mitglieder der CPP auch ohne Haftbefehl in Gewahrsam genommen werden. Vergangenen Monat lehnte das niederländische Justizministerium trotzdem Sisons Antrag auf Asyl mit der Begründung ab, er wolle sich lediglich einer strafrechtlichen, nicht aber einer politischen Verfolgung entziehen. Sollte die Entscheidung durch die laufende Revision bestätigt werden, muß er sein Gesuch dem Staatsrat vorlegen.
Bereitschaft zum Dialog beteuert
Die Nationale Demokratische Front (NDF) erklärte sich bereit, mit der Regierung wieder in Verhandlungen zu treten, auch Frau Aquino hat zum Dialog aufgerufen. Die ersten Gespräche, die nach dem Sturz der Marcos-Diktatur stattfanden, sind gescheitert. Wie kam es dazu?
Jose Maria Sison: Es gab zwei kollidierende Verhandlungsziele: Der revolutionären Bewegung ging es um die fundamentalen sozialen Probleme des Volkes, während die Aquino- Regierung nur daran interessiert war, die Bewegung zur Kapitulation zu bringen. Sie war nicht ernsthaft genug daran interessiert, sich mit den Problemen auseinanderzusetzen. Die Kommunistische Bewegung ist Aquino sehr entgegengekommen. Sie haben einem Waffenstillstand zugestimmt, um so den Weg für die Gepräche zu bereiten. Die NDF hat ein allumfassendes Programm in Bezug auf nationale Unabhängigkeit, Demokratie, Landreformen, bürgerliche Freiheiten und Menschenrechte unterbreitet. Die erste Forderung der Aquino-Regierung war aber auf die Niederlegung der Waffen gerichtet, damit hätte sie aber bereits ihr Verhandlungsziel erreicht. Darauf konnte sich die NDF nicht einlassen. Außerdem waren bei einer Kundgebung Bauern und ihre Sympathisanten erschossen worden, womit die bösen Absichten der philippinischen Regierung noch einmal offenbart wurden. Dennoch hat die NDF der Aquino-Regierung wiederholt die Wiederaufnahme der Gespräche angeboten.
Erst vor kurzem hat Aquino ihre Politik umgestellt. Sie ist nun zu Gesprächen mit allen ihren Opponenten bereit, sowohl mit den abtrünnigen Soldaten als auch mit den Kommunisten, wie sie sich ausdrückte. Sie muß sich wirklich ausgesprochen isoliert fühlen, wenn sie nun einen derartigen Aufruf startet. Aber im Grunde ist ihre persönliche politische Motivation unwesentlich, solange sie an den Verhandlungstisch kommt. Warum auch nicht? Die NDF wird zu ihren eigenen Gesprächsangeboten stehen.
Setzen Sie irgendwelche Hoffnungen in einen unbewaffneten Kampf?
Das kann ich Ihnen nur theoretisch und auch nur in Form einer Frage beantworten: Glauben Sie, daß die oberen Schichten der Compradors und der Großgrundbesitzer auf den Philippinen ihre Macht freiwilling aufgeben würden?
Im Sinne der marxistisch-leninistischen Theorie gilt es die militärisch-bürokratische Maschinerie zu zerschlagen. Die kommunistische Partei erklärt, den „bewaffneten Kampf“ zur wichtigsten Form des Kampfes. Allerdings muß diese Formulierung näher erläutert werden. Es gibt alle möglichen Formen des Kampfes, die zum Sieg führen. Wenn es aber darauf ankommt, den Gegner entscheidend zu schlagen, bedarf es des bewaffneten Kampfes. Dieser bewegt sich im Rahmen der „Nationalen demokratischen Revolution“. Soweit er auf dem Lande ausgetragen wird, geschieht dies im Zusammenwirken mit der Landreform und mit dem Aufbau einer Massenbasis.
Betrachten wir zum Beispiel eine Einheit der Neuen Volksarmee (NPA) oder ihre Kader in einem Dorf: Einen Großteil ihrer Zeit widmen sie der Organisation der Bevölkerung. Sie leiten Diskussionsgruppen, helfen bei der Produktion, bei kulturellen Veranstaltungen und dergleichen mehr.
Der ehemalige Oberbefehlshaber der NPA, Dante Buscayno, der ebenfalls zehn Jahre lang unter Marcos Regime inhaftiert war, soll bei der Gründung einer Bauerngenossenschaft in Central Luzon erfolgreich sein. Betrachten Sie seine Anstrengungen als einen möglichen Weg, um die Ziele der revolutionären Bewegung zu erreichen?
Er mag Erfolge haben. Und er sollte Erfolg haben — zumal mit einer Kreditsumme von 12 Millionen Pesos von der Landesbank ausgestattet. Er könnte in der Tat für die Menschen in einigen Dörfern der Provinz Tarlac manches erreichen. Mehrere Tausend Bauern haben sich bereits seiner Genossenschaft angeschlossen. Allerdings bedeuten die Erfolge dort keine soziale Revolution auf den Philippinen. Sie dürften nicht einmal Modellcharakter haben.
Wie beurteilen Sie die Leistungen der Aquino-Regierung während der vergangenen Jahre?
Im Moment befindet sich die regierende Aquino-Clique in einer verzweifelten Position. Sie hat eine Heidenangst sowohl vor den drohenden Massenaktionen, mit denen die Bevölkerung auf die rapiden Verschlechterung der sozio-ökonomischen Verhältnisse reagieren wird, als auch vor einem drohenden Putsch. Darüberhinaus ist das Verhältnis zwischen Aquino und Ramos gespannt, denn General Ramos selbst versucht offenbar einen Putsch unter dem Vorwand eines Gegen- Putsches zu lancieren. Deshalb hat Aquino auch gerade jetzt ihre Gegner zum Dialog aufgerufen.
Von einem erfolgreichen Putsch der Militärs würde vor allem die revolutionäre Bewegung profitieren, besonders wenn sich alte Marcos- Kumpanen mit rebellierenden Soldaten die Macht teilen würden.
Sachlich gesehen: unabhängig davon, ob Aquino sich hält oder ob irgendeine militärische Clique die Macht übernehmen wird, profitiert die revolutionäre Bewegung bereits von der Zuspitzung der Situation.
Welche Alternative zu den jetzigen politischen Verhältnissen sieht die revolutionäre Bewegung ?
Momentanes Ziel ist es, den Kampf für nationale Befreiung und Demokratie zu Ende zu führen. Im Bereich der Wirtschaft besteht die Hauptaufgabe darin, die demokratische Revolution in Bezug auf die Landreform und die Industrialisierung voranzutreiben. Das eine ohne das andere ist nicht möglich. So könnte man verhindern, daß die Bauern einen zu großen Preis für die Industrialisierung zahlen müssen. Die Kluft zwischen den großen Industriezweigen und der Landwirtschaft muß durch Kleinbetriebe überbrückt werden. Diese kleinen Betriebe müssen Kleidung, Baumaterialien herstellen und andere Grundbedürfnisse der Bauern abdecken im Austausch für Lebensmittel aus der landwirtschaftlichen Produktion. Es kommt also auf eine gut ausgewogene Entwicklung an. Außerdem wird die demokratische Revolution den Faschismus und seine Elemente innerhalb der Gesellschaft abschaffen. Bürgerliche Freiheiten und die Menschenrechte müssen gewährt werden. Auf dieser Basis sollten wir eine Regierung bilden, um die jetzige zu ersetzen.
Wie sollte diese Regierung strukturiert sein?
Im Falle der Philippinen ist es möglich, eine wirkliche Koalitionsregierung einzugehen. Die Kommunistische Partei ist dabei, ein System auszuarbeiten, in dem die Macht geteilt wird. So gibt es die National Democratic Front (NDF). Wenn der politisch-militärische Kampf vollendet ist, wäre folgende Machtteilung denkbar: ein Drittel Vertreter der Kommunistischen Partei, ein Drittel Repräsentanten der Basisorganisationen, die unter der Führung der Partei stehen und ein Drittel wirklich unabhängige Kräfte.
Es ist gut, wenn man auf einen Fundus unterschiedlicher Kräfte zurückgreifen kann. Es ist gut, die Gedanken und Handlungen der revolutionären Partei an den Vorstellungen jener Kräfte zu messen, die zwar nicht kommunistisch, aber patriotisch und fortschrittlich sind.
Wie beurteilen Sie die Ereignisse in Osteuropa für den Fortgang des Sozialismus?
Der Sozialismus ist eine junge Idee und jede neue Idee muß Schwierigkeiten überwinden. Vergleichen Sie die bisherige Lebensdauer des Kapitalismus mit der des Sozialismus. Aus historischer Sicht hat der Sozialismus nicht einmal 70 Jahre durchlaufen. Das ist eine sehr kurze Zeitspanne. Und nun kommt es zu dieser plötzlichen Entwicklung, die sechzig Millionen Menschen in den Staaten Osteuropas betrifft. Der sozialistische Weg durchläuft eine Wende auf dem Zick-Zack-Kurs der Geschichte. Daraus muß man Lehren ziehen, ich glaube daß sich der sozialistische Weg dann wieder durchsetzen wird.
Im Falle von Ostdeutschland wird es Probleme und Schwierigkeiten bei der Anpassung geben. Aber ein wiedervereinigtes Deutschland hat gute Chancen, für einige Zeit ein wohlhabendes kapitalistisches System zu unterhalten. Auf Kosten der anderen osteuropäischen Länder, die mit Sicherheit den Weg der Dritte-Welt Länder gehen werden (mit Ausbahme der Tschecheslowakei). Deutsches Geld, deutsches Kapital wird nationale Grenzen überschreiten. Die kapitalistischen Mächte können sich freuen, daß plötzlich ein Expansionsfeld im Sinne von Markt- und Rohstoffquellen entstanden ist. Aber ich glaube, daß diese osteuropäischen Länder, wenn sie sich zu Dritte-Welt-Ländern entwickeln, dem kapitalistischen System Probleme bereiten werden.
Stärke und Struktur der Partei und der NPA
Berichten zufolge heißt es, daß der Rückhalt der NPA schwindet. Können sie uns ein Bild von der gegenwärtigen Stärke der NPA geben?
Nach der jüngsten Ausgabe der 'Revolution‘, des parteitheoretischen Journals, operiert die NPA im Moment an 60 Guerillafronten. Diese decken Gebiete von 65 meist ländlichen Provinzen ab, die eine Bevölkerung von 12 Millionen umfassen. Die NPA zählt etwa 10.000 schwer bewaffnete Kämpfer, die mit schlagkräftigen Waffen ausgerüstet sind. Über 200.000 gehören Milizen an. Darüberhinaus gibt es Selbstverteidigungseinheiten, die eigentlich den Untergrund-Basisorganisationen zuzuordnen sind. Diese Organisationen sind auch in den städtischen Gebieten anzutreffen. Hinzu kommen die berühmten bewaffneten Partisanen. Die Partei zählt etwa 32.500 Mitglieder. Sie hat eine umfangreichere Organisation als die NPA. Ich glaube, daß das Land von der Kommunistischen Partei gut abgedeckt wird.
Es ist Mythos, wenn Anti-Aufstandsberater wie Aquino und Ramos verbreiten, daß die revolutionäre Bewegung durch die Demokratisierung unter Aquino an Rückhalt verloren hat. Die Revolutionäre waren von ihrem Zuwachs selbst überrascht. Ich werde jedoch versuchen, realistisch zu sein: Unter dem Aquino-Regime war die Kriegsmacht härter als während der lezten sechs Jahre des Marcos-Regimes. Allerdings sind die Streitkräfte nur auf 12 der 60 Guerillafronten konzentriert. In diesen Gebieten gibt es natürlich Schwierigkeiten. Aber in den restlichen Guerillafronten steht unserer Ausdehnung nichts im Wege.
Aus welchen Quellen beziehen die Kommunistische Partei und die NPA ihre Unterstützung?
Die Hauptquelle ist das Volk, vor allem die Bauern, letztere besonders für die NPA. In den städtischen Gebieten werden die Basisorganisationen von ihren Mitgleidern finanziert. Die revolutionären Gewerkschaften werden von den Arbeitern unterstützt. Wenn sich in einem Gebiet bereits eine Volksregierung etabliert hat und sich auch die NPA dort befindet, können Steuern erhoben werden. Laut Propaganda soll die revolutionäre Bewegung zu viel von den Geschäftsleuten verlangen. Was verlangt wird, ist aber ein Apfel und ein Ei im Vergleich zur offiziellen Steuer und den vom Militär unter der Hand erhobenen Abgaben.
Ich habe keine konkrete Kenntnis von irgendeiner Art finanzieller Unterstützung aus ausländischen Quellen. Aber ich halte es für normal, wenn beispielsweise Solidaritätsgruppen um Unterstützung für die revolutionäre Bewegung auf den Philippinen werben.
Stimmen die Berichte, daß es eine Spaltung innerhalb der Reihen der Kommunistischen Partei geben soll — beispielsweise in Sachen Säuberungsaktion?
Nein. Ich glaube nicht, daß es irgendeine ernste Spaltung gibt. Nichts ist so ernst wie die stets drohende Bombardierung des Präsidentenpalastes Malacanang oder wie die Tatsache, daß das Hauptquartier der Streitkräfte (von ihren eigenen Einheiten) niedergebrannt wurde. Das Militär möchte den Eindruck erwecken, daß die Demokratie und die dazugehörige Debatte innerhalb der revolutionären Bewegung Spaltungen sind. Die Bewegung wäre tot, würde sie nicht unterschiedliche Ansichten berüchsichtigen.
Glauben sie, daß der urbane Terrorismus und die Angriffe auf amerikanische und philippinische Militärangehörige noch immer zu rechtfertigen sind?
Ich würde nicht von urbanem Terrorismus sprechen. Der Ausdruck wäre einfach überzogen. Die NPA hat einige Strafaktionen an Angehörigen des amerikanischen und philippinischen Militärs ausgeführt. Die bewaffneten Partisanen der Metropole zielen auf Offiziere, die in der Counter-Insurgency-Kampagne eine Rolle spielen. Diese Offiziere haben ihre Bltuschuld zu bezahlen. Das sind die Kriterien für die Strafaktionen der Revolutionären Bewegung. Interview: Violet Valdez
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