: Eine Sport-„Kampfbahn“ als Altlast
Die 1933 von den Nazis in Konstanz erbaute „Bodensee-Kampfbahn“ macht dem Gemeinderat Kummer: „Deutschlands schönste Wettkampfstätte“ wird zunehmend zur baulichen Erblast ■ Aus Konstanz Holger Reile
Für Viele ist das Konstanzer Bodenseestadion „Deutschlands schönstgelegene Wettkampfstätte“, für andere aber eine „bauliche Erblast aus alten Zeiten“. So stand die Sportarena Anfang September schon kurz vor der Schließung. Das Konstanzer Sport- und Bäderamt hielt die Sportanlage „aus Sicherheitsgründen für nicht mehr betreibbar“. Als daraufhin die Sportvereine lautstark protestierten, entschloß sich die Stadt, durch kleinere Sanierungsmaßnahmen den Spiel- und Sportbetrieb notdürftig aufrecht zu erhalten.
Doch der Konflikt ist grundsätzlicher Natur: Seit Jahren wird eine Renovierung des alten Stadions gefordert, aber ein Großteil des Gemeinderates will angesichts der angespannten Konstanzer Finanzlage die dafür erforderlichen zwei Millionen Mark nicht bereitstellen.
Bei einem Stadion-Ausbau würde Stuttgart bis zu einer Million Mark zuschießen. Aber auch aus umweltschützerischen Bedenken scheint eine umfassende Renovierung zur Zeit nicht realistisch: Das Stadion liegt direkt am Seeufer in einem ökologisch sensiblen Areal.
Den Verantwortlichen graut vor Großveranstaltungen mit all ihren Folgen für Mensch und Umwelt. Und so stehen die Konstanzer vor einem Problem, das ihnen der Größenwahn der Nationalsozialisten hinterlassen hat, denn in der 1935 eingeweihten „Bodensee-Kampfbahn“ hätte damals die gesamte Stadtbevölkerung bequem Platz gefunden.
Im September 1933 rückten die ersten Arbeiter ans Horn, dahin, wo sich zu jener Zeit noch eine Kiesgrube befand. Bis zum ersten Spatenstich hatten dort militärische Sportdarbietungen der Konstanzer Standorttruppen stattgefunden.
Täglich 120 Arbeiter erweiterten die Kiesgrube nach Norden, 550 Bäume wurden gefällt, 100.000 Kubikmeter Erde bewegt. 25.000 Kubikmeter wurden zum Ausgleichen der Grube und für den Zuschauer- Wall benötigt.
Ab Mitte Dezember 1933 wurde in Doppelschicht gearbeitet. Die 'Bodensee-Zeitung‘ feierte den „Kampf gegen die Arbeitslosigkeit“. Der Ausbau der Bodensee- Kampfbahn selbst begann im Februar 1935. Zufahrtstraßen wurden angelegt, Parkplätze gebaut, die Tribünenmauer entstand, schließlich das Aufmarschtor und die Kassenhäuschen. Am 15.Oktober 1935 war der zweite Bauabschnitt beendet.
Glaube an das tausendjährige Reich
Von September 1933 bis zur Fertigstellung hatten täglich 125 Arbeiter „in Lohn und Brot gestanden“ und „50.000 Tagewerke geleistet“. „Möge es weitesten Kreisen ein Ansporn sein“, so die 'Bodensee-Zeitung‘, „durch Arbeitsbeschaffung dem Volkswohl zu dienen“.
Schon lange bevor in der Bodensee-Kampfbahn der Fußballrasen wuchs, machte sich die Verwaltung Gedanken über eine „macht- und würdevolle Einweihung“.
Man wollte sich schließlich nicht blamieren und dem Rest der Welt zeigen, daß sich auch tief in der Provinz der Glaube an das tausendjährige Reich manifestiert hatte. Schalke 04, der damalige Deutsche Fußballmeister mit den legendären Szepan und Kuzorra, und Lausanne Sports, der schweizer Titelträger, gaben ihre Zusage zum Eröffnungsspiel.
Ein geschickter Schachzug, denn gerade aus der benachbarten Schweiz erhoffte man sich großen Zulauf. Mehr noch: Der Gedanke, die Eidgenossen „heimzuholen ins Reich“, spukte durch die Köpfe. Das damals wirtschaftlich schwer angeschlagene Konstanz sollte nach den Vorstellungen der Nationalsozialisten zur „Ehrenpforte des Reiches“ herausgeputzt werden, zur „Kultur- und Sportmetropole“ am Bodensee.
Der Tag der Einweihung, der 20.Oktober 1935, rückte näher. Hunderte von Einladungen wurden verschickt, Hess und Goebbels sagten „bedauernd“ ab. Wochen vorher schon hing überall in der Stadt der Aufruf der Stadtverwaltung: „...durch Massenbesuch ein machtvolles Bekenntnis des Gemeinschaftssinnes abzulegen“ und: „Bürger von Konstanz, ... folgt Eurer Führung“. Bei der Einweihung nahmen „Reichssportführer“ von Tschammer-Osten und der badische Ministerpräsident Köhler auf der Ehrentribüne Platz.
Hätte das Wetter mitgespielt, wäre die Zufriedenheit wohl vollkommen gewesen, aber es regnete in Strömen und statt der erhofften 35.000 kam gerade die Hälfte. Nach „Horst-Wessel-Lied“ (vier Minuten), der Schweizer Nationalhymne (drei Minuten) und diversen Ansprachen, schickten Szepan und Kuzorra die Lausanner Sportsfreunde mit einer 4:1 Packung nach Hause.
Der Anfang war gemacht, weitere Großveranstaltungen „im Sinne der vaterländischen Volksgesundheit“ waren bereits in Planung. Länderspiele, Aufmärsche, Turnfeste, eine volle Kampfbahn — davon träumten die Hiesigen. Doch daraus wurde nichts, die Kriegsgefahr wuchs, die Menschen hatten andere Sorgen. Im Juni 1937 war das Stadion Austragungsort für die „Leistungsschau des Konstanzer Sports“. 28 Grad im Schatten, die Konstanzer zogen ein kühles Bad vor. Kaum 1.000 Zuschauer fanden sich ein.
Bei Kriegsausbruch erlahmte das Konstanzer Vereins- und Sportwesen fast vollständig, die meisten Sportler wurden eingezogen. Es gab nur noch vereinzelt größere Sportveranstaltungen, so ein Schauturnen im Konzilsaal (1942) und ein Jahr später ein „Kriegswerbe-Fußballspiel“. Die Reste des FC Konstanz 1900 e. V. traten gegen die „Roten Jäger“ aus Wiesbaden an. Eine Mannschaft, die gespickt war mit hohen Militärs und hinter der Front den Doppelpaß übte. Mit Erfolg: 1.500 Zuschauer erlebten den 7:0-Sieg der „Jäger“.
Bis 1945 lief gar nichts mehr in der „Kampfbahn“. Die Franzosen stellten den Sportbetrieb vorerst ganz ein. Ende 1945 gab es wieder die ersten Bemühungen, den „Rasensport“ zu beleben. Die Vereinsleitung des FC Konstanz schrieb einen Brief an die damalige Stadtverwaltung und bat um Unterstützung: Der FC habe „nie Politik betrieben“, außerdem habe man „die maßgeblichen Herren ihrer Ämter enthoben“. Die Franzosen wurden gebeten, den Sportbetrieb wieder zuzulassen: „Die Vereinsleitung war jederzeit darauf gerichtet, ... die Jugend von der Politik fernzuhalten.“
Kurz darauf willigten die französischen Besatzer ein. In den Jahren darauf stand der Sport in der Kampfbahn wieder im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses. 12.000 Zuschauer verfolgten das Endspiel der französischen Zonenmeisterschaft zwischen dem VfL Konstanz und dem FC Kaiserslautern. Der Pfälzer Klub mit den Brüdern Otmar und Fritz Walter spielten die Konstanzer mit 12:2 und 8:4 förmlich an die Wand. Auch in den siebziger Jahren erlebte das Stadion noch einmal einen Zuschauer-Boom. Die DJK Konstanz klopfte heftig ans Tor der zweiten Fußball-Bundesliga und bei Heimspielen pilgerten bis zu 10.000 Fans in das Bodensee-Stadion.
Die Treuen werden per Handschlag begrüßt
Doch diese Zeiten sind längst vorbei, und wenn die mittlerweile in der Kreisliga kickende DJK vor heimischem Publikum spielt, verlieren sich meistens keine hundert Zuschauer in der riesigen Arena. Der Kassierer im verwitterten Kassenhäuschen begrüßt die letzten der Treuesten per Handschlag, der Bratwurststand bleibt mangels Absatz meist kalt, Trostlosigkeit haftet auf den vom Zahn der Zeit angenagten Steinquadern.
Was also tun mit dem Kleinod am Bodensee, einem Stadion, das im „Deutschen Sport-Taschenbuch 1989“ immer noch mit einem Fassungsvermögen von 40.000 Zuschauern angegeben wird? Zumindest eine Erkenntnis hat sich parteiübergreifend im Konstanzer Gemeinderat durchgesetzt: „Abreißen geht auch nicht.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen