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Schlagende Bilder

■ Ursula Kelms Berliner Porträts im Heimatmuseum Charlottenburg

Roland Barthes hat die großen FotografInnen Mythologen ihrer Zeit genannt, da sie den Sinn ihrer Zeit unverstellt reproduzieren. In den Fotografien der »Persönlichkeiten«, die Ursula Kelm in den letzten drei Jahren besucht und porträtiert hat, bestätigt sich diese Einsicht. Unverhüllt tritt einem in den meisten Bildern ein arroganter Narzißmus entgegen, der durch kaum ein Gesicht gerechtfertigt ist. Der Blick gleitet von meist verkniffenen Mundwinkeln in glatte Gesichter ab, hinter denen sich leere Interieurs eröffnen. Der Mechanismus vorgetäuschter Kompetenz ist eine der häufigsten Attribute postmoderner Biographien und läßt sich auch an den exakten schwarz-weiß kontrastierten Porträts ablesen. An keinem Detail kommt es zum »punctum«, einem Erkennen des Korrespondenzpunktes im Bild, das bestechen könnte. Die Fotografie selbst hat im Prozeß ihrer fortschreitenden öffentlichen Nutzung nicht nur, wie schon Benjamin schrieb, ihre Aura verloren, sondern auch alle inhaltliche Spannung abgelegt.

Das Porträtieren wird derart problematisch, daß man sich fragt, wer an solchen Aufnahmen überhaupt ein Interesse hat. Offenbar eine Politprominenz, die sich Vorgängen verschreibt, in denen sie selbst weltgeschichtliche Bedeutung erlangen möchten. Sie alle sind dabei gewesen, als die Mauer fiel — nur Axel Springer leider nicht mehr, an dessen Stelle seine Tochter nun verkündet, was kein Verdienst und ihrer schon gar nicht ist: »Diese Stadt ist im Begriff, die Drehscheibe für die neue europäische Freiheit zu werden.« Von Friede Springer und Verlag (hinzu kommt noch die Sparkasse mit 7.000 DM) sind Ausstellung und Katalog mit 10.000 DM finanziert worden, während die Arbeit (Agfa stellte nur das Material zur Verfügung) unbezahlt blieb.

Die naive Zielsetzung Kelms, Einblick in das verborgene Leben von Prominenten geben zu wollen, scheint für eine Vereinnahmung prädestiniert. Die Fotografin aber markiert auch Brüche. Ihre Technik, die sie sich vor zehn Jahren in der Kreuzberger Werkstatt für Photographie erarbeitet hat, tritt den vielen Bedrohungen des Darstellungsmediums Porträt mit dem Verzicht auf das Teleobjektiv entgegen. Ein authentischer Ausdruck entsteht nur, wenn sie in die unmittelbare Nähe der Personen eindringt. Dazu muß viel Zeit in die Aufnahmen investiert werden, Zeit, die sich Prominente nicht nehmen und gerade so ihre Ausdruckslosigkeit dokumentieren.

Anders der DDR-Historiker Jürgen Kuczynski, von dem eine Aufnahme gelungen ist, die auch künstlerischen Ansprüchen gerecht wird. Solche Offenheit aber ist selten genug, die Grenze zur Stilisierung kaum zu erkennen, so wenn Rosa von Praunheim vor der Kamera vom Sex träumt. Bei Walter Rossow konnte die Fotografin einmal einen kompetenten Blick einfangen; Rudolf Springer hält sie in einer momentanen Spiegelung seines Kopfes fest, die diesen fast als Büste erscheinen läßt; Steffie Spira-Ruschin gehört zu den wenigen, die eine Porträtaufnahme wirklich ausfüllen. Angenehm, wenn bei Karla Höcker und Bernhard Heiliger der Blick einmal nicht direkt in die Kamera geht.

Zu wenige Menschen aber üben eine präzise Bestimmung in den gesellschaftlichen Abläufen aus, die sie vorgeben, sinnvoll politisch zu leiten, künstlerisch zu beschreiben oder wirtschaftlich zu lenken. Auch hier ist das Selbstverständnis Kuczynskis wieder die große Ausnahme. Sein Kommentar zum Porträt hält fest, daß es bedeutender sein könnte, auf die Seite der Verlierer der letzten Monate zu gehören, als in den Kleingeist der Gewinner einzustimmen: »Ein intelligenter Fehler ist weit wichtiger für den Fortschritt als tausend kleine Richtigkeiten.«

In den schriftlichen Selbstdarstellungen, die die Porträtierten den Bildern beifügen sollten, wird der fragwürdige Anspruch vieler Prominenter auf Interessantheit noch deutlicher als in den Aufnahmen. Manche kommen kaum aus der Schule des Poesiealbums heraus: »Liebe die Welt, und die Welt wird Dich lieben...« (Horst Buchholz). Man freut sich schon, wenn einmal das Niveau eines Abituraufsatzes erreicht ist wie bei Anke Martiny (SPD), die ihre Kulturpolitik mit Goethe retten möchte: »Es begegnet und geschieht mir oft, daß ein Werk bildender Kunst mir beim ersten Anblick mißfällt. Ahn' ich aber ein Verdienst daran [...] dann fehlt es nicht an den schönsten Entdeckungen.«

Die Selbstdarstellung der Politprominenz schlägt in ihr Gegenteil um. Zu eklatant ist die Fehleinschätzung der politischen Lage der Stadt. Berliner Kommunalpolitiker von Lummer (CDU) bis Momper (SPD) demontieren auch in dieser Ausstellung sich selbst. Die Metropole soll in die Hauptstadt der erträumten Nation verkehrt werden. Über eine Stadt, auf die der größte Wohnungsnotstand seit 1900, die größte Arbeitslosigkeit seit 1930 zukommt, kreiert Momper mit seinem wohlsituierten Liebling- Kreuzberg-Grinsen den Satz: »Heute ist es ein Glück, hier zu leben.« Lummer aber träumt vom »Zuschlagen« seiner rechtsextremen Klientel: Für ihn »heißt es jetzt: Das Brandenburger Tor ist offen — und die deutsche Frage schlägt zu. Die deutsche Frage schlägt zu, bis sie nicht mehr offen ist.«

So erreicht Kelms fotografische Dokumentation auf einem Umweg doch, was Benjamin einmal für Atget reklamiert hat: Aufnahmen bezeichnen einen Tatort, und: »Hat nicht der Photograph — Nachfahr der Auguren und der Haruspexe — die Schuld auf seinen Bildern aufzudecken und den Schuldigen zu bezeichnen?« Thomas Schröder

Berliner Porträts; bis 12. Oktober im Heimatmuseum Charlottenburg, Schloßstraße 69, Berlin 10.

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