: „Eine Frechheit, so was zu feiern“
■ Dritte-Welt-Gruppen in der BRD befassen sich mit der 500-Jahr-Feier der „Entdeckung“ Amerikas/Kampagne auch gegen den europäischen Binnenmarkt
Während im selbsternannten „Mutterland“ Spanien kaum eine kritische Stimme das nationale Wir-Gefühl trübt, wächst ausgerechnet in der BRD eine Anti-500- Jahr-Feier-Bewegung heran. Ein breites Spektrum linker, liberaler und kirchlicher Gruppen arbeitet seit Monaten — einige wenige schon seit Jahren — an einer Strategie gegen die große Feier. Dabei suchen sie nach einer Vernetzung der Aktivitäten gegen den 500-Jahre-Jubel und gegen den europäischen Binnenmarkt, der just zum selben Zeitpunkt eingeläutet werden soll. Zufall oder nicht — das zeitliche Zusammentreffen bietet jedenfalls eine günstige Gelegenheit, die Kontinuität vom klassischen Kolonialismus zum Neokolonialismus zu zeichnen.
Die Eroberung Amerikas im Namen des Kreuzzuges und der Schwerter kostete Millionen Menschenleben, machte einen ganzen Kontinent wirtschaftlich abhängig und zerstörte fast alle indianischen Kulturen. „So etwas 500 Jahre danach zu feiern, ist eine Frechheit“, sagt ein Mitarbeiter des Bundeskongresses entwicklungspolitischer Aktionsgruppen (Buko). Aber es ist nicht allein die spanische Show, die hierzulande die Soli-Szene bewegt: Das Thema eignet sich auch hervorragend für eine Wiederbelebung der Dritte-Welt-, zumal der Lateinamerika-Arbeit. Was sich deutlich zeigt, wenn sich bei den Kongressen die alten Bekannten aus der Kaffeepflückerbrigade wiedertreffen, Mitstreiter aus anderen Internationalismus-Bereichen sind (noch) selten. Dennoch ist bei den Treffen immer häufiger die Rede von der Anti-IWF-Nachfolgekampagne.
Ob die Kraft soweit reicht, ist fraglich. Schließlich ist das aktuelle Feindbild beim Thema 500-Jahr-Feier und EG-Binnenmarkt viel verschwommener — es wird voraussichtlich kein Kongreßzentrum geben, in dem sich die verantwortlichen Bösen und ihre Lakaien treffen werden. Als Kristallisationspunkt käme allenfalls der Weltwirtschaftsgipfel in Frage, der 1992 in Deutschland stattfinden soll. Aber auch so haben die Gruppen in der BRD schon mehr Protestaktionen als irgendwo sonst in Europa geplant. Dazu gehören ein Sternmarsch auf Straßburg, ein europäisch-indianisch besetztes Boot, das 1992 den Atlantik in beide Richtungen überqueren soll, Theaterstücke und eine Wanderausstellung zum Thema „500 Jahre Kolonialismus — 500 Jahre Widerstand“. Auch eine europäisch-indianische Landbesetzung in Lateinamerika steht auf der Wunschliste. An diesem Wochenende lockt der Kongreß „Randvölker, Herrenvölker und das Ende des europäischen Sozialismus“ nach Frankfurt. Die Veranstalter, der Dietzenbacher „Verein Monimbo“ und die in verschiedenen lateinamerikanischen Ländern beheimateten Mitglieder der Gruppe „Emanzipation und Identität Lateinamerikas: 1492-1992“, rechnen mit immerhin 1000 Teilnehmern.
Spannend versprechen auch die Diskussionen im kirchlichen Bereich zu werden. Schließlich bereitet die katholische Amtskirche ebenso ungeniert wie die Madrider Regierung, Feiern vor. Die Kirchenoberen wollen die 500 Jahre „Evangelisierung“ rühmen. Zugleich versuchen aber zahlreiche katholische und evangelische Gruppen hier und in Lateinamerika eine Gegenbewegung. So strebt beispielsweise die Münsteraner „Christliche Initiative Romero“ tatsächlich ein „Schuldbekenntnis der Kirche und der Europäer“ an.
Zu Treffen in der BRD reisen regelmäßig ein paar spanische Gegner der 500-Jahr-Feier an. Sie kommen entweder aus dem Baskenland oder aus Katalonien, wo die beiden einzigen größeren spanischen Komitees ansässig sind. Warum sich da so wenig tut? Ganz einfach: In Spanien gegen die Jubel-Feiern zu protestieren, sei so ähnlich, wie sich in Deutschland gegen die Wiedervereinigung zu stellen, erklärte eine Katalanin die politische Abstinenz ihrer Landsleute. Dorothea Hahn
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