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Thule: Arbeiter fordern Entschädigung

■ Mehr als 20 Jahre nach radioaktier Verstrahlung zahlt dänische Regierung noch keine Entschädigung

Kopenhagen — Bis zum Wochenende hat die dänische Regierung noch Zeit über eine freiwillige Entschädigung für Gesundheitsschäden zu entscheiden. Anschließend sollen die Gerichte bemüht werden. Mit diesem Ultimatum hatte Mitte September im dänischen Odensee die Generalversammlung der „Strahlenverseuchten Thule-Arbeiter“ geendet. 100.000 Kronen (etwa 25.000 DM) pauschal pro Person lautet die eher symbolische Forderung. Außerdem sollen die Gesundheitbehörden alle Daten über die radioaktive Verstrahlung und deren bislang festgestellte Folgen zugänglich machen.

Über 22 Jahre warten Hunderte von Arbeitern bereits darauf entschädigt zu werden: Am 21. Januar 1968 war ein US-Atombomber vom Typ B-52 auf das Eis vor Thule in Nordgrönland abgestürzt. Angeblich vier Atombomen waren an Bord — die USA verweigerten stets genaue Zahlen —, unbekannte Mengen radioaktiven Plutoniums — Greenpeace schätzt 20 bis 35 kg — und Tritiums schleuderten durch die Gegend. Eine Explosion blieb nur deshalb aus, weil die Bomben — nach US-Angaben — nicht mit einem Zünder versehen waren. 1.200 Arbeiter — die meisten Freiwillige aus Dänemark, aber auch zwangsweise verpflichtete Gefangene aus grönländischen Haftanstalten — wurden für die Aufräumarbeiten eingesetzt. Ohne über die wirklichen Gefahren informiert worden zu sein, wühlten sie wochenlang im radioaktiven Schnee und Eis nach verstrahlten Wrackteilen.

Nach Jahren häufen sich die „rätselhaften“ Erkrankungen bei den Arbeitern. Ein Selbsthilfekommitee wird gegründet, die Öffentlichkeit alarmiert, eine systematische Gesundheitsuntersuchung der Überlebenden eingeleitet. Zum 20. Jahrestag des Unglücks, Anfang 1988, die erschreckende Bilanz: Die Krebserkrankungsrate der Thule-Arbeiter ist gegenüber dem Durchschnitt der männlichen Bevölkerung doppelt so hoch. Fast alle klagen über typische Symptome von Strahlenkranken: Leberschäden, nicht heilende Wunden, Müdigkeit, Erstickungsanfälle, Gewichtsverlust, extreme Anfälligkeit für Infektionen, eingeschränkte Fruchtbarkeit.

Gerade noch rechtzeitig vor Ablauf der 20jährigen Verjährungsfrist erheben Hunderte von Arbeitern eine Klage vor einem US-Gericht — das sich für nicht zuständig erklärt. Dänemarks Ministerpräsident Schlüter verspricht großzügige Entschädigung und hebt unter dem öffentlichen Druck die ebenfalls 20jährige Verjährungsfrist nach dem dänischen Arbeitsschadensgesetz auf. Doch mehr als 2 Jahre danach ist aus den großen Versprechungen der übliche Expertenstreit um die „Beweise“ für die Ursächlichkeit der Gesundheitsschäden geworden, die die Arbeiter in der Polarnacht vor 22 Jahren davongetragen haben. Juristische Beweise dürften aber erst recht von den Gerichten eingeklagt werden, sollte sich die Regierung nicht zu einer freiwilligen Entschädigung durchringen. Deshalb der dringende Appell der Arbeiter und Hinterbliebenen an die dänische Regierung. Reinhard Wolff

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