: Was gilt das Wort eines Ministers?
Nordrhein-westfälischer Innenminister Herbert Schnoor rückt von seinem Bleiberecht-Versprechen für Roma ab/ NRW-Flüchlingsrat: „Flüchtlingspolitik“ ist eine kaum zu überbietende Frechheit ■ Von Walter Jakobs
Düsseldorf (taz) — Anfang September gab sich der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Schnoor im Kampf um das in Aussicht gestellte Bleiberecht für die Roma, die sich zu Beginn des Jahres am sogenannten „Bettelmarsch“ beteiligt hatten, noch standfest: „Ich bin nicht bereit hiervon abzurücken. Ich möchte auch morgen noch in den Spiegel sehen können. Die Leute müssen sich auf das Wort eines Regierungsvertreters verlassen können.“ Das in Rede stehende „Regierungswort“ war am 31. Januar von dem als Vermittler fungierenden Landeskirchenrat Jörn-Erik Gutheil vorgetragen worden, umfaßte knapp eineinhalb Seiten und ließ die Roma ihren Bettelmarsch abbrechen. Innenminister Schnoor habe „zugesagt“, so hieß es in dem Papier, sich „darum zu bemühen“, daß die Roma, „abweichend von den allgemeinen ausländerrechtlichen Regelungen einen besonderen Aufenthaltsstatus erhalten“. Zu diesem Zweck wurden die Roma gebeten, ihren Anträgen auf eine Aufenthaltsgenehmigung einen Lebenslauf beizufügen, „in welchem glaubhaft gemacht wird, daß es sich bei den Antragstellern um ,De- facto-Staatenlose“ handelt“. Nach Eingang der Anträge sollten vom Innenministerium die Kriterien für den Begriff „De-facto-Staatenlose“ festgelegt werden. „Dabei sind Innenministerium und Roma-Verbände um Einvernehmen bemüht“, heißt es wörtlich in dem Papier. Entsprechend dieser, von Kirchen und Wahlfahrtsverbänden beklatschten Prozedur, einigten sich die Parteien im Frühsommer darauf, jene Roma, die in den letzten 10 Jahren mindestens fünf Jahre außerhalb ihres Herkunftslandes überwiegend in Staaten Westeuropas gelebt haben, als „De- facto-Staatenlose“ anzuerkennen. Der Erlaß, den Schnoor am 10. Juni als Kabinettsvorlage verfaßte, setzt diese Vorgaben konsequent um. Eine Bleiberecht sollte bekommen, wer vor dem 12. Januar 1990 in NRW gemeldet oder erfaßt war, fünf Jahre außerhalb des Herkunftslandes umhergezogen war und sich während dieser Zeit „nicht nur zu vorübergehenden Zwecken in mindestens einem Staat Westeuropas aufgehalten“ hatte. „Ich gehe davon aus“, so formulierte Schnoor in der begleitenden Kabinettsvorlage, „daß 3.000 bis 3.500 Personen [...] die Voraussetzungen meines Erlaßentwurfes erfüllen und glaubhaft machen können.“ Insgesamt seien bis zum 30. April 3.200 Anträge für „insgesamt etwa 5.200 Personen [...] eingegangen“. Mit der Regelung, die „die Aufnahmefähigkeit des Landes nicht übersteigt“, könne NRW zwar nicht die Probleme der Roma in Europa lösen, aber doch den Nachbarn „ein Beispiel geben“.
Immer neue Anforderungen
Als Alternative komme nur „die zwangsweise Aufenthaltsbeendigung“ in Betracht, die im In- und Ausland auf „erhebliche Kritik stoßen“ werde. Dabei, so fuhr Schnoor fort, „ist auch zu bedenken, daß sich 1990 die erste Zigeunerdeportation in die Vernichtungslager des Dritten Reiches zum 50. Mal jährt.“ Eine Formulierung, die dem Chef der Staatskanzlei, Minister Wolfgang Clement, überhaupt nicht schmeckte. „Ich rege an“, so schrieb Clement, „den letzten Satz zu streichen, weil nicht unnötigerweise ein mißverständlicher Zusammenhang zwischen rechtmäßigen Verwaltungsvollzugsmaßnahmen gegen Roma und ,Zigeunerdeportationen‘ im Dritten Reich hergestellt werden sollte“. Dieser „Anregung“ folgte Schnoor nicht, „da m. E. der bloße Hinweis auf die Rechtslage die politischen und historischen Zusammenhänge vernachlässigt“.
In der Sache selbst vermochte der Innenminister seinen härtesten Widersachern, Arbeitsminister Hermann Heinemann und Finanzminister Heinz Schleußer, hingegen nicht standzuhalten. Heinemann, die aktuellen Roma-Wanderungen aus Rumänien vor Augen, befürchtete, „daß andere Personengruppen gleiches Recht für sich in Anspruch nehmen“ könnten und lehnte den Schnoor- Vorschlag rundweg ab. Das Geschrei der CDU vom „Asylantenparadies NRW“, der sich in Bürgerinitiativen organisierende Widerstand gegen Asylsuchende in vielen Kommunen und das Dauerfeuer der NRW- Presse gegen die „weiche Schnoor-Linie“ taten ein übriges. Schnoor, von Ministerpräsident Johannes Rau allein gelassen, wich zurück. Mit Schreiben vom 21. August 1990 ließ er seinen Kabinettskollegen nun wissen, daß er den Ursprungserlaß „nun mit weiteren Bedingungen versehen“ und „einen stärkeren Bezug zu NRW verlangt“ habe. „Bei diesen Bedingungen kann angenommen werden, daß die Aufnahmezahl 1.000 bis 2.000 nicht überschreitet.“ Ein dauerhaftes Bleiberecht bekommen sollten nun nur noch jene Roma, die sich während „der Zeit des Umherziehens in den letzten drei Jahren [...] überwiegend in NRW aufgehalten haben.“ Eine Formulierung, die bei Heinemann & Co. Jedoch keinerlei Eindruck hinterließ. So sah Schnoor sich am 7. September Erneut gezwungen, seinen Entwurf — nun zum dritten Mal — umzuformulieren. Demnach müssen die Roma jetzt noch zusätzlich bereit sein, „sich in NRW zu integrieren“. Insgesamt, so verbreitete Schnoor danach in der Öffentlichkeit, würden wohl etwa 1.000 Roma nach den neuen Kriterien ein Bleiberecht bekommen. Für die CDU- FDP-Opposition und ihre ministeriellen Stichwortgeber in der Rau- Regierung waren das genau 1.000 Roma zuviel. Eine Mehrheit für seinen Erlaß fand Schnoor in der Kabinettssitzung am 11. September deshalb immer noch nicht. Statt dessen gebar das Kabinett eine „neue Flüchtlingspolitik“, die mittels direkter Finanzhilfe für Jugoslawien die Rückkehr der Roma nach Jugoslawien zum Ziel hat. Sollte das „kurzfristig nicht gelingen“ soll „etwa 1.000 Personen“ das Bleiberecht gewährt werden.
Ungewißheit bleibt
Zunächst wurde Hans-Jürgen Wischnewski als Sonderbeauftragter sofort nach Belgrad geschickt. Der war kaum wieder im Lande, schon jubelte die Regierung am 19. September von einer „erfolgreichen Mission“. Nur die Roma und ihre Unterstützungsgruppen, die jubelten nicht. „Das Nichteinhalten einer Zusage“ als „Neue Flüchtlingspolitik“ zu kaschieren, sei, so urteilte etwa der NRW-Flüchtlingsrat, „eine kaum noch zu überbietende Frechheit“. Unterdessen hat sich die Ungewißheit für die Roma noch verschärft. Während Arbeitsminister Heinemann von der deutsch-jugoslawischen Kooperation erwartet, „daß wir in absehbarer Zeit 5.200 Sinti und Roma nach Jugoslawien zurückschicken“ können, glaubt Schnoor weiterhin, daß unabhängig von dieser Kooperation die Frage jener Roma zu behandeln sei, die „seit vielen Jahren heimatlos in Europa umherziehen und eine besondere Beziehung zu NRW haben“.
Wieviele Roma er dazu zählt, stellte Schnoor am 21. September im WDR klar: „Nach meiner Meinung werden es nicht mehr als 1.000 sein, die hier ein Bleiberecht bekommen können.“
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