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Im Dunkeln ist gut ackern

Wer nachts pflügt, hat weniger Sorgen mit dem Unkraut/ Nächtliche Bodenbearbeitung spart erheblich Herbizide ein  ■ Von Wolfgang Blum

Es klingt wie schwarze Magie, aber es ist moderne Wissenschaft: Wer nachts pflügt, hat weniger Sorgen mit Unkraut. Zu diesem Ergebnis kamen Karl M. Hartmann und Werner Nezadal vom Botanischen Institut der Universität Erlangen.

Jeder Hobbygärtner weiß, daß Pflanzen Licht brauchen, um zu gedeihen — so auch Unkraut. Aber nicht nur das lästige Grünzeug, sondern auch der Samen benötigt Helligkeit. Die Samen der meisten Unkräuter beginnen erst dann zu keimen, wenn sie von einer bestimmten Menge Licht beschienen werden. Dabei genügt — je nach Art — Lichteinfall von wenigen Sekunden bis zu Bruchteilen von Sekunden. Um die Samen am Keimen zu hindern, müssen sie also nur von jeglichem Licht abgeschirmt werden.

Die Samen der meisten Kulturpflanzen dagegen gedeihen unabhängig von solchen Lichtimpulsen. Das ist kein Zufall, sondern das Ergebnis jahrhundertelanger Züchtung durch den Menschen. Um zu verhindern, daß der größte Teil der Aussaat gleich wieder von Vögeln aufgepickt wird, werden die Samen in tiefere Erdschichten eingebracht. Dort haben natürlich nur die Arten eine Chance, die auch in völliger Dunkelheit keimen.

Die Samen wildwachsender Ackerpflanzen gelangen meist nicht tief in den Boden. Sie keimen also dort, wo sie hinfallen, und zwar dann, wenn ausreichend Sonne den Frühling ankündigt. Auf bearbeiteten Äckern geraten aber auch Unkrautsamen bis zu 40 Zentimeter tief unter die Erde. Da Licht maximal einen Zentimeter ins Erdreich vordringt, können diese Samen nicht keimen. Sie führen eine Art Schlummerdasein, das mehrere Jahre anhalten kann. Ein Quadratmeter Ackerboden kann eine „Samenbank“ von bis zu 75.000 solcher Körner beherbergen. Pflügt der Bauer sie eines Tages an die Oberfläche und damit ans Licht, erwachen sie aus ihrem Schlaf und beginnen sofort zu keimen. Nur ein geringer Teil der Samen, die so den nötigen Lichtimpuls erhalten, liegt nach dem Pflügen auf der Erde. Der weitaus größere Teil verschwindet wieder im Boden. Würde der Bauer nachts pflügen, würden diese Samen nicht keimen.

Um diese Überlegung in die Praxis umzusetzen, schickte Botaniker Hartmann schon 1981 zum ersten Mal einen Landwirt im Dunkeln auf den Acker. Der Bauer W. Seydel verzichtete auf zwei schmalen Streifen seines Feldes, Nutzpflanzen anzubauen. Auf dem „normal“ bei Tageslicht bearbeiteten Streifen waren nach einem Jahr 80 Prozent des Bodens mit Unkraut bedeckt, auf der Nachtseite nur zwei Prozent. Klebkraut, Löwenzahn, Huflattich und viele andere Unkrautarten hoben sich auf dieser Seite deutlich weniger ab. Doch es gab auch Pflanzen, wie Rispen- und Raygras, die besser gediehen. Die Erlanger Wissenschaftler führen das darauf zurück, daß „Dunkelkeimer“, also Pflanzen, die ohne Lichtimpuls keimen, weniger Konkurrenz bekamen und sich deswegen auf dem Acker besser ausbreiten konnten. Auch Unkräuter, die sich nicht nur über Samen fortpflanzen, werden durch nächtliches Pflügen bevorteilt, wie die ungeliebte Quecke. Sie breitet sich durch unterirdische Ausläufer aus.

In den letzten Jahren hat Biobauer Seydel unter Anleitung der Wissenschaftler seine Bodenbearbeitung optimiert. Zuerst wird das Feld am Tage gepflügt. Beim Umwerfen der Erde werden viele Körner aus der Samenbank belichtet und fangen an zu keimen. Wenn die Pflänzchen einige Zentimeter groß sind, bearbeitet Seydel den Boden mit der Egge und zerhackt sie dabei. Diese mechanische Unkrautvernichtung passiert nachts, am besten bei Neumond, damit möglichst wenig neue Samen den zum Keimen notwendigen Lichtimpuls erhalten. Allerdings läßt sich nicht vermeiden, daß der durch das Eggen an die Oberfläche gelangte geringe Prozentsatz von Körnern keimt. Alle anderen Arbeiten, wie Pflanzen und Säen, führt Seydel ebenfalls bei Dunkelheit aus. Dabei können die Frontscheinwerfer des Traktors zumindest dann angeschaltet werden, wenn zur Bodenbearbeitung Nachlaufgeräte mit Nachtabschirmung benutzt werden.

Auf jeden Fall gelang es den Erlangern mit dieser Anbaumethode, den Unkrautwuchs auf dem Feld entscheidend einzudämmen. Aber ganz ausgerottet werden konnten die störenden Pflanzen nicht. Das wäre auch nicht im Sinne des Umweltschutzes. Durch die nächtliche Bodenbearbeitung könnte der Einsatz von Unkrautvernichtungsmitteln drastisch reduziert werden. Hartmann hofft, so bis zu 50 Prozent aller Herbizide weltweit einsparen zu können.

Bisher gehen die meisten Landwirte allzu sorglos mit der chemischen Keule gegen Wildwuchs vor. Über 22.000 Tonnen Herbizide, ein knappes halbes Kilo pro Kopf, versprühen bundesdeutsche Bauern Jahr für Jahr. Neben gesundheitsgefährdenden Auswirkungen auf den Menschen vergiften Herbizide auch nützliche Insekten und andere Kleintiere. Dadurch gewinnen Schädlinge leichter Oberhand, die wiederum mit anderen Giften bekämpft werden.

„Vor einer generellen Empfehlung zur Nutzung möchten wir erst weitere Ergebnisse abwarten“, schränken die beiden Wissenschaftler allerdings ein. Bevor AnwohnerInnen sich über nächtlichen Traktorenlärm beschweren und LandwirtInnen über Nachtarbeit klagen, werden also noch einige Jahre vergehen.

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