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Die Neuen im Bundestag

■ Wolfgang Ullmann, Gregor Gysi und Wolfgang Thierse sprachen für die ehemalige DDR

Ganz zufällig wird die Parteien-Regie nicht gewesen sein: Die CDU ließ überhaupt niemand aus der DDR sprechen. Bei den Sozialdemokraten rangierte Wolfgang Thierse an dritter Stelle. Nur die Grünen hatten sich dazu durchgerungen, Wolfgang Ullmann den Vortritt zu lassen. In seiner wohltuend kurzen Rede beschäftigte sich Ullmann vor allem mit der „vor uns liegenden Aufgabe: die Schwerter des Kalten Krieges und des Klassenkampfes umzuschmieden in Schwerter der Demokratie“. Nur die Bürgerbewegungen Osteuropas hätten von Anfang an gewußt, so fuhr Ullmann fort, daß die „Übertragung der westlichen Demokratie nur gelingen kann mit einer Erweiterung eben dieser Demokratie“. Deshalb mahnte Ullmann eine neue Verfassung an, die „eine klare Absage an das Zweite und Dritte Reich enthalten“ müsse.

Die mit der Reichsgeschichte verbundenen Ängste im In- und Ausland vor dem neuesten Deutschland sprach auch Wolfgang Thierse an. Er teile die Furcht vor Nationalismus, Chauvinismus und Fremdenhaß, die die Demonstranten am Vortag unter der Parole „Nie wieder Deutschland“ formuliert hätten. Doch anders als 1871 werde die Einheit jetzt nicht „von oben“ vollzogen. „Unser Bekenntnis zu Deutschland ist ein Bekenntnis zu einer Aufgabe, zu einem Deutschland, wie es werden soll.“ Deshalb habe ihm in der Nacht zum Mittwoch „gefallen, wie unter meinem Fenster am Kollwitzplatz die Republik Utopia ausgerufen wurde“.

Eigentlich wollte Thierse zu allen anderen Parteien schweigen — die übliche Bonner Spiegelfechterei zu vermeiden, hatten sich alle DDR-Redner vorgenommen. Doch ein West-CDUler provozierte den Sozialdemokraten zu einem Urteil über die PDS: „Die Partei der fröhlichen Unschuld und der entschlossenen Gedächtnislosigkeit“. Genau das Gegenteil hatte Gregor Gysi zuvor in seiner Rede behauptet. Seine Partei stehe „zur Geschichte und Verantwortung für das post-stalinistische System“, wiederholte Gysi das in der politischen Praxis der PDS kaum nachvollziehbare Bekenntnis. Aber seine Stärke liegt ohnehin weniger in Grundsatzreden. Treffender seine Beobachtungen und Fragen zur Behandlung der neuen „Deutschen zweiter Klasse“. Die Tatsache, daß fünf DDRler zu Ministern ohne Geschäftsbereich ernannt worden seien, sei „scheinbar großzügig, aber der Titel besagt: Sie sind überflüssig“. Petra Bornhöft

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