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Frau Tornow wie weiland Werner Höfer

■ Diskussionsserie des »Potsdam Kolleg«: »Welche Hauptstadt braucht Berlin?«. Teil 1

Die innovative Radikalität, mit der seit Wochen in Berlin über das Thema »Hauptstadt Berlin« diskutiert wird, besticht förmlich durch analytische Brillanz und intellektuellen Esprit. Sie verdient die Bewertung: »großartig!« Ein Gipfel des visionären Scharfsinns war Mompers historisch zu nennende Erkenntnis: »Berlin riecht nach Zukunft«, mit der der Regierende nur gemeint haben könnte, daß, wenn alles, vom stinkenden Hundekot unserer kleinen und großen Scheißer bis zur Stickstoffemission, in Berlin seine Steigerungsrate erleben wird, die Hauptstadt kommt.

Ein neuer Mitmacher auf dem Feld superlativer Hauptstadtrhetorik ist das frisch gegründete »Potsdam Kolleg für Wirtschaft und Kultur«. Dem Unternehmen mit beschränkter Haftung für Fortbildung und »Qualifizierung« gehören so erfahrene Kulturverwirtschaftungs-Vordenker wie Ex-Berlin-Mythos-Chef Dr. Eberhard Knödler-Bunte (er wollte den Anhalter Bahnhof wieder aufbauen) und der Architekt und Stadtplaner Andreas Reidemeister an. »Die Initiative zwischen Stadtplanung und Kulturarbeit«, so stellte Reidemeister das Kolleg kürzlich im SFB vor, wolle in dem »Spannungsfeld zwischen immer neuen Informationen — kommt die Hauptstadt oder kommt sie nicht — selbst sagen, wie sie sich hier die Hauptstadt vorstellt«. Mit dem Konzept einer einkreisenden Steigerung, vom Allgemeinen über das Besondere bis ins Hochpolitische, sollen unter dem Titel: »Welche Hauptstadt braucht Berlin?« Journalisten und Stadtplaner, Architekten und Politiker in »homogener Zusammensetzung« und senatsbeschirmt an sechs Abenden in einem Forum »Hauptstadt Berlin« das urbane Gesicht der zukünftigen Metropole problematisieren. »Berlin wird eine Hauptstadt von vielen Dingen sein«, blickt Reidemeister nach vorn. Berlin werde eine »informelle« Hauptstadt dieses Großraums wie auch des »östlichen Europas« sein. Darum müsse es seine Stadtpolitik insgesamt ändern, »auch räumlich«. Das alles »greift ineinander«. Aber eigentlich, findet Reidemeister, »geht es um Städtebau und Architektur. Das ist das Thema.« Parlieren werde man deshalb an fünf Abenden in der Architekturgalerie Aedes. Die letzte Veranstaltung der Serie, im Dezember, mit der internationalen Besetzung Momper, Schwierzina, Falin, Seiters, Dahrendorf und viele andere, werde dann, wohl aus Sicherheitsgründen, der Brisanz und des erhofften Ansturms wegen, ins Esplanade ausweichen.

Der erste Abend, vergangenen Freitag bei Aedes, machte mit drei politischen Journalisten den Auftakt der Hauptstadteinkreisung. Von weit her kamen Peter Merseburger, ARD-Korrespondent in London, Luc Rosenzweig von der Pariser Zeitung 'Le Monde‘ und Frederick Kempe aus Washington. Die wurden von Georgia Tornow von der taz-Redaktionsleitung aus der Kochstraße so geschickt moderiert, daß Anstößiges vermieden, Gegensätzliches kaum und Neues schon gar nicht zur Sprache kam. Mit dem genialen Trick der »Eingangs-, Hauptstadt- und Schluß- bzw. Prognosenfrage«, wie weiland Werner Höfer in seiner Sendung mit sechs Alkoholikern aus fünf Ländern, führte Georgia Tornow mit den Kollegen ein Talk- Show-Geplapper, wie man es täglich aus seichten Fernsehrunden oder Tagesthemenkommentaren kennt und wogegen Boris Beckers letztwöchendliche Einschätzung zur Lage der Nation immer noch wie eine Bombe eingeschlagen hätte.

Überhaupt, es war sich keiner für die ältesten Kamellen zu schade: Kempe packte einen beinahe vierzigjährigen Witz aus: »Bonn«, so kalauerte er, »ist nur halb so groß wie der Chicagoer Zentralfriedhof, aber doppelt so tot«. Darum müsse Berlin die neue Hauptstadt werden, unter der Voraussetzung, daß keine nationale, keine ostorientierte, sondern die europäische Karte gespielt werde. »Die Hauptstadt Berlin nach Europa einbinden« war die Botschaft, und in geistreicher Verkehrung der Realitäten folgerte er: Bonn solle die symbolische Hauptstadt, Berlin der Sitz der Regierung werden. »Berlin den Deutschen — Bonn für die Welt«. Für Luc Rosenzweig sind wir »boche« nach wie vor gefährlich. Denn »Berlin bleibt Berlin« meinte er, was soviel bedeute wie das Ende der Westintegration der Bundesrepublik. Darum Bonn. Das hätte sich historisch bewährt, habe wirtschaftlich Zukunft auf der Linie Mailand-Frankfurt-Brüssel-London und mache uns allen politisch nicht soviel Angst. Denn die »Hauptstadt Berlin« wäre »nur deutsch«, »zu östlich« und »nicht europäisch«. Außerdem, was sollen wir Berliner mit langweiligen Regierungsverwaltungen, wo's doch metropolenmäßig auch so weitergeht, schmunzelte er. Und Merseburger hielt Berlin dagegen. Dem provinziellen »Bonner Mief« müsse ein Ende gemacht werden. Sicher, orakelte er, eine Trennung der Funktionen sei denkbar, Berlin Haupt- und Bonn Regierungssitz, wie weiland der Kaiser schon von Pfalz zu Pfalz zog. Doch vierzig Jahre demokratiegestählt glaube er nicht an die Abtriftung nach Osten und weg aus Europa. Im Gegenteil. Die »Randlage Berlins sei die Chance der Vergrößerung Europas«, genscherte er, und könne der Brückenkopf nach Moskau werden.

In Veranstaltungen dieser Art dient die Präsenz der Teilnehmer nur noch der Inszenierung eines Demokratieverständnisses, das sich längst von einer Streitkultur, von Skepsis und Fragen, von Kühnheit und Neuem verabschiedet hat. Die immergleichen Argumente fliegen wie Bälle, als sei alles nur ein Spiel, bei dem es allen recht gemacht werden soll. Als vor drei Wochen auf einem Ostberliner Seminar zum Thema Architektur und Demokratie Gustav Hämer resigniert festgestellte, daß alle »Gespräche«, Initiativen und Veranstaltungen, Foren und Fachdiskussionen gegen den »Potsdamer Platz« brav, aber wirkungslos geblieben waren und sich der Senat dirigistisch, arrogant und undemokratisch über die Öffentlichkeit und deren Interessen hinwegsetzte, blieb die Frage im Raum, wie denn zu den anstehenden Berliner Problemen — Hauptstadt und Olympia, Verkehr und Region — weiter diskutiert werden soll, wenn sowieso keiner mehr hinhört und Sprache zu Wirkungslosigkeit verurteilt wird. Eine Antwort gab sich Hämer selbst. So können wir nicht weiter reden. rola

Die weiteren Termine sind: 12. 10., 26.10., 16.11., 23.11. jeweils um 20 Uhr in der Galerie Aedes. Am 14.12. findet die Schlußrunde im Esplanade statt, auch um 20 Uhr.

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