: Flügellante Poesie
■ Eric Bass, US-Puppenspieler, krönte das 7. Puppentheaterfestival
Was für Engel!! Oder doch eher geflügelte Postboten? Von der Mütze her? Nein, Engel überwiegt ganz entschieden, schon wegen dem Satz Flügel an den hinteren Hosenträgern. Aber auch deswegen, weil Eric Bass, wunderfeiner US-Puppenspieler, und Alan Bern, mitspielender Kongenial-Musiker, wie herabgestiegen kommen zu uns Erdenschweren aus einer noch ferneren Welt als aus Amerika. Möglicherweise aus jener berühmten Welt hinter den berühmten Türen, welche endlich so geheimnisvoll ist, wie wir uns Räume hinter Türen immer gewünscht haben; vielleicht wie bei Lewis Carroll und seiner Alice. Eric Bass schafft aber Zeichen und Wunder, die wir entziffern können. Und lädt uns in den Himmel ein, ausgerechnet uns, die wir den Himmel scheuen wie Teufel das Weihwasser. Der Himmel hat keine Balken. Also genau das richtige Gelände für Eric Bass. „Invitations to Heaven“ heißt sein neuestes Stück, nichts geringeres als die Verwandlung von Zeit und Raum in Gefühl. In seinem, dem jüdischen Himmel, zelebriert er uns eine Revue von herzensangelegter Zärtlichkeit mit quietschender Komik und freundlicher Melancholie. Das geht so:
Mitten in die vorhangstille Schwärze der kleinen Bühne fällt sternig gelbes Licht und beleuchtet eben jenen Postbotenengel — das heißt, das Engelige sieht man erst, wenn er aufsteht, weil die Flügelchen ja hinten an den Hosenträgern klemmen. Leichthin versunken also sitzt er in einem Schaukelstühlchen und fizzelt auf einer Balalaika, bis der zweite Postbotenengel mit einem kleinen Akkordeon dazukommt. Das wird so bleiben: wir möchten gerade gerührt sein oder nachdenken, da sollen wir schon lachen. Allein dieses Instrumentchen kann Sachen, da können andere Akkordeons nur von träumen: Harfe, Trompete, Wellensittich, Beleidigtsein. Hat mal jemand ein eingeschnapptes Akkordeon gehört? Aber schließlich spielt es doch für Erstengel Elias (Eric Bass) die Türstehernummerexposition: feierlich geht also dieser postbotige Elias auf die hintergründige Himmelspforte zu, eine Art Western-Saloon-Schwingelding mit aufgemaltem Flügelpaar, Flügeltür eben, und stößt sie auf zur Geschichte. Die Geschichte von Gershon und Rivka, seinen Großeltern, osteuropäische Juden, die nach Amerika ausgewandert sind. Eine Geschichte von vielen Fragen und vielleicht einer Antwort. Aus dem Bilderrahmen holt sich der vom Engel zum Enkel gewordene Eric Bass die Großelternpuppen, zwei Ausbünde an mustergültiger Unfriedlichkeit, die machen aus jeder Szene eine Szene. Und der Puppenspieler, das zarte Männchen mit den großen Augen, steht immer hinter ihnen und hat sie in der Hand und folgt ihnen gleichzeitig gerne. Auf der kleinen Tischbühne teilen sie sich Tisch und Federbett und machen sich auch schon mal scheinbar selbständig, diese beiden Streithähne, die so zugespitzt granteln, wie vielleicht nur das Puppenspiel die Dinge zuspitzen kann. Der blasrohrbezwitscherte Vogel und das Alan-Bern-bemeckerte Schaf in tragenden Nebenrollen sind parteiische, geradezu marxbrothereske Komikeinleger. Manchmal läßt Eric Bass seine Puppen tanzen, singt jiddische Lieder dazu , wo sich „jing“ auf „Katzenspring“ reimt und leichtes Glück sich einstellt, tanzt (natürlich!) selber mit, und wenn die Geschichte auch unhappy endet für Gershon und Rivka: Hauptsache, der Enkel hat Tanzen und Singen gelernt. Wenn wir solche Enkel wären! Draußen die Nachtwölkchen kommen einem plötzlich witzig vor. Claudia Kohlhase
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