: Immer weniger Stellen für Schwerbehinderte
■ Bremen erfüllt gesetzliche Beschäftigungspflicht nicht / Ausnahme vom Stellenstopp wirkungslos
Behinderte und schwer kranke BremerInnen finden immer seltener eine Arbeit. Mindestens sechs Prozent Schwerbehinderte müssen in Betrieben mit mehr als 15 Arbeitsplätzen beschäftigt werden — so schreibt es jedenfalls das Gesetz vor. Doch nur ein knappes Drittel aller Bremer Betriebe hält sich daran. Zu den Gesetzesbrechern in Sachen Schwerbehinderten-Beschäftigung gehört seit zwei Jahren auch der Bremer Senat. Denn nachdem 1985 noch 6,3 Prozent aller über 40.000 Beschäftigten des öffentlichen Dienstes schwerbehindert waren, sind es in diesem Jahr weniger als 5,7 Prozent. Daran konnte auch ein Bürgerschaftsbeschluß nichts ändern, mit dem auf Antrag der SPD-Fraktion im Juni 1989 eine Ausnahme von Einstellungsstopp für Schwerbehinderte beschlossen worden war.
„Kein einziger Schwerbehinderter konnte über diese Ausnahme vom Einstellungsstopp im Öffentlichen Dienst beschäftigt werden“, weiß Hannelore Podolski, gewählte Vertrauensfrau aller 2.100 Schwerbehinderten im Bremer Staatsdienst. Trotzdem ist sie guter Hoffnung, die 6-Prozent-Quote noch in diesem Jahr wieder zu erreichen.
„Ich renne überall offene Türen ein“, sagt sie, allerdings könnten eben auch nicht „von heute auf morgen“ über 100 Stellen mit Schwerbehinderten besetzt werden. „Ich muß ja von den Fähigkeiten der Behinderten ausgehen und dann in den Behörden nach einem geeigneten Tätigkeitsbereich suchen — und nicht umgekehrt“, sagt Hannelore Podolski.
Unter sechs Prozent sei die Schwerbehinderten-Quote überhaupt nur deshalb gesunken, weil in den letzten Jahren die Generation der Kriegsversehrten in Rente und Pension gegangen ist. Außerdem sei die Frührenten-Regelung besonders von Schwerbehinderten genutzt worden. Und im Vergleich der Bundesländer liege Bremen mit 5,7 Prozent Schwerbehinderten im öffentlichen Dienst noch immer deutlich über den reicheren Ländern Bayern (3,6), Baden-Württemberg (3,75), Hessen (4,6) und Niedersachsen (3,92).
„Andererseits bringt es Berlin auf 6,2 Prozent und das nicht gerade reiche Saarland sogar auf 6,6“, hält der Bremer Reichsbund-Vorsitzende und Ex-Bürgermeister Walter Franke dagegen. „Wenn es sogar Mercedes Benz schafft, deutlich mehr als sechs Prozent Schwerbeschädigte zu beschäftigen, dann sollte das in dem mehr als doppelt so großen öffentlichen Dienst doch erst recht möglich sein“, findet Franke.
Schließlich kostet Bremen die Nichterfüllung der gesetzlichen Schwerbehinderten-Quote sogar Geld: bisher genau 150 Mark pro fehlendem Arbeitsplatz pro Monat und ab Oktober sogar 200 Mark. Sechs Millionen Mark aus dieser „Ausgleichsabgabe“ gehen jedes Jahr in der Hauptfürsorgestelle des Arbeitssenators ein — eine Viertelmillion davon direkt aus der Staatskasse. Neun Sachbearbeiter bemühen sich dort darum, das Geld möglichst effektiv für die Verbesserung von Schwerbehinderten-Arbeitsplätzen einzusetzen. Selbst der Einbau eines Fahrstuhls, der es dann einem Rollstuhlfahrer ermöglichen würde, einen Arbeitsplatz im 3. Stock eines Firmengebäudes anzunehmen, kann bezuschußt werden.
„Unter fünf Prozent“ liegt die Beschäftigung Schwerbehinderter im Bereich der privaten Bremer Wirtschaft, sagt Günther Schülke, Leiter der Hauptfürsorgestelle. Weil seine Einnahmen deshalb relativ höher liegen als die anderer Bundesländer, gehört Bremen im Länderfinanzausgleich der Ausgleichsabgaben sogar zu den Geberländern. „Das ist allerdings kein Kompliment für uns“, muß Schülke feststellen. Dirk Asendorpf
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