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Bayern — gesamthistorisch

■ Die »Revolutionsfarce« »Auf verlorenem Posten« von Herbert Achternbusch in der Freien Volksbühne

Als Herr Achternbusch noch bayerische Wasser von nichtbayerischer Erde trennte und zwischen Andechs und Grönland seine Bayernmythologien schuf, als seine Helden »Der Depp« oder der »Neger Erwin« hießen und die Heldentat in einem Bierkampf bestand, in dem man eine Maß Bier in einem Zug austrinken mußte, da tickte Herr Achternbusch seiner Zeit um Biermaßlängen voraus.

Jetzt, da Herr Achternbusch gesamtdeutsch zu werden versucht und von seinem Projekt der Bajuwarisierung der Moderne abrückt hin zu einer Anerkennung der ontologischen Differenz des nördlich der Mainlinie lebenden Menschenstammes, jetzt, da er sich unter dem Druck der mittlerweile auch in der Alpenrepublik angekommenen Trabis an den Urfeind »Preissen« heranwagt und in so eine Preissen-Seel hineinzuschlüpfen versucht, da sinkt er unter sein bekanntes bayerisches Weltniveau. Wenn er dann die Preissen noch den Brenner überwinden läßt und ihnen ins Transalpinische nachsteigt, ins Land, wo die Zitronen und Goldorangen blühen, um ihre geheime globaldeutsche Sehnsucht zu ergründen, kommt es zu einer Vermischung von Provinzial- und Kanonischdeutsch, ist man tatsächlich Auf verlorenem Posten, wie der Stücktitel der letzte Weihnachten entstandenen »Revolutionsfarce« heißt: Da fordert der solchermaßen alpinisch Erhöhte, obwohl er Bozen gelegentlich noch mit Bautzen verwechselt, nicht mehr nur ein Stück Deutschland in den heutigen Grenzen, sondern versteigt sich zu einem Deutschlandmodell in den Grenzen von 1245 — Neapel ist unser —, heilig römisch fundiert. Sauerkraut verbindet sich mit Banane; Essiggurke und Orange komponieren ein Deutschlandgericht, das »knattert« und kracht in den Gedärmen — der Ex-DDRler beharrt darauf, daß es sein und nur sein Dünnschiß ist.

»Ich bin die DDR«, stellt er sich zu Beginn vor, ein Wesen mit menschlichem Antlitz, ansonsten mit der Krawatte über zu kurzem Regenmantel über zu kurzen Hosen über schwarzen Turnschuhen mit roten Schnürsenkeln (Ernest Hammer). Bitte teilen Sie nicht meine Gefühle mit mir: Dieses Satzes, dem er mit einem ins Publikum gerichteten Gewehrlauf Nachdruck verleiht, bedürfte es nicht. Teilen kann nur, wer glaubt. Diesem verfremdeten Räuber Hotzenplotz kann man indes nichts glauben, er dürfte auch jedem vormaligen DDR-Bürger als seinesgeleichen nicht wiedererkennbar sein. Er sitzt in einem billig zusammengezimmerten, schulterbreiten Holzhäuschen, und manchmal hängt er auch an einer Art Triangel von der Decke herab. Er ist ein Eremit auf einer weiten Theaterbühne, der tumbe Deutsche, so eine Art DDR-Parzival, dem die Welt ohne Grenzen so grenzenlos ist und der sich in ihr gar nicht auskennt und der daher das »welcome« des rollschuhlaufenden Paares unter der rosa Palme mit der einladenden Geste nicht annehmen kann. Verständlicherweise muß er mit Sauerkraut um sich werfen, seine Entwurzelung beißt er gelegentlich in eine Essiggurke hinein. Das Sauerkraut kommt auch mal auf den Haaren zu liegen und paßt dann gut zu dem Satz, daß, würden wir das Gehirn außerhalb tragen, es ebenso flach wie Sauerkraut wäre.

Der Tumbe aber hat ein Herz und Gefühle, »das Hakenkreuz schmerzt durch seinen Körper«, er ist ein Christus, der die Dornenkrone um die Fußfessel trägt, er hat Mitleid mit den Blutopfern von Temeswar, für die er ein Tubagedenkblasen einlegt — von der fetten Bundesrepublik wird er aus seinem Weltschmerz befreit. Die kommt daher wie ein vollgestopfter Postgeldsack mit den Deutschlandfarben entlang der Hosennaht und predigt eine Bananenenthaltungsphilosophie, weil die Bananophilie ein Rückfall Deutschlands in den Naturzustand wäre: Der Tumbe erschießt sie dafür. Sein weinerlicher Dauermonolog, verbunden mit viel konfusem Gehampel, wird nur kurz unterbrochen durch das Dazwischentreten einer Jugendgang sogenannter »Dresdner«: Sie schlagen unseren Parzival nieder, und ein FDJ-Engel leuchtet ihm heim. Zu seiner Italienverwirrtheit kommt noch die Tatsache, daß der Geliebte seiner Frau mit ihnen auf Reisen ist. Einen kurzen Lichtblick stellt eine Orangengöttin dar; dennoch schwört er seiner Frau durch die Jalousien des Hotelfensters hindurch Liebe, »bis die Diktatur in Rumänien fällt«, und muß sich anschließend zu Tode grämen, da, als die Diktatur dann tatsächlich fällt, seine Frau sterben muß.

Später, im zweiten Bild, in dem ein menschengroßer Tirolerhut mit einem Gamsbart unter einer Art chinesischer Deckenbespannung hängt, ist seine Frau (Gerda Müller) gar nicht tot, sie räkelt sich auf einem grasgrünen Bett mit ihrem geliebten (Paul Wenning), spricht vom bösen Kommunismus und der bösen Industrie, die auf jenen verlorenen Posten kommen müssen, auf dem der Kommunismus jetzt angelangt ist; im flotten Dreier posieren sie vor einem Kameraselbstauslöser, ein echtes Kamel mit Wüstenlandschaft bietet den Hintergrund.

Das alles und noch viel mehr gehört zu dem neuen vielfarbigen Deutschlandgemälde, das Achternbusch wie einst seine Alexanderschlacht als »Zusammenfassung von allem, was ich gemacht habe«, entwirft: Man spricht von Christus, Schwangerschaft, Tod in der Natur; unser Parzival wird in Italien offensichtlich als ein schräger Vogel betrachtet und kommt sich deshalb wie »der Jude aus Lodz« vor, von dem er offensichtlich den langen Bart hat, den er sich auch nach dem Tod seiner Frau nicht abschneiden läßt. So spricht er plötzlich mal jiddisch und singt Anatevka an, dann verwechselt er wieder Bautzen mit Bozen und Alp-Träume jagen ihn. Der Abend in der Regie von Peter Brasch und Hermann Treusch wäre ein theatralischer Alptraum geworden, wäre er nicht eben ein Produkt aus der deutsch-deutschen Niederung, so grüngrün und seicht und bretteleben, und das Theater nur etwas, wo »Luft wichtig verteilt wird«. Das Dumme nur für den Zuschauer: für ihn kommt zuletzt das Glück nicht in Gestalt einer roten Braut (Irm Hermann) daher. Michaela Ott

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