Ein selbstmörderisches Gerät

■ Japanische Firma bringt Gerät zur Ferhseh-Reklame-Filterung auf den Markt

Niemand, aber auch niemand, sage in Zukunft, das Feuilleton könne in der allerwirklichsten Wirklichkeit nichts bewirken. Unablässig haben wir die Einführung eines „Anti-Commercial-TV“, auf plattdeutsch: eines „Reklame-Filter-Fernsehers“, gefordert (im folgenden kurz „RFF“ genannt), der automatisch alle Reklamespots erkennt und aussondert. Ja, auch seine Anmeldung beim Patentamt haben wir in unseren kühnsten Abschaltungsträumen programmiert. Und was geschieht jetzt? Eine japanische Firma bringt ein Videogerät dieser Machart auf den Markt! Nur die Übertragung seiner Konstruktionsprinzipien auf das Primärgerät, die eigentliche Quelle der Verschmutzung, steht noch aus.

Im übrigen ist ja alles genauso, wie wir es uns unter dem Druck unserer prophetischen und erfinderischen Gaben vorgestellt hatten: Die unsäglichen Commercials werden dorthin wandern, wohin sie gehören: auf den Müll, sorry: in den Filter.

Technisch ist das Ganze kein Problem. Denn wenn schon jeder TV-Zuschauer auf Anhieb die Reklame erkennen kann, wie sollte das der von ihm so hingebungsvoll beglotzte Apparat nicht tun können! Nur finanziell gibt es bei einem Gerätepreis von 1.000 bis 2.000 DM noch einige Anlaufschwierigkeiten: Solange wir nämlich mehr Geld aufwenden müssen, um den Ausstoß eben jener Geräte zu tilgen, die wir an sich für durchaus weniger Geld erwerben können, sorgt das naturgemäß für eine gewisse Irritation.

Trotz seines stolzen Preises erfreut sich das Filtergerät zunehmender Popularität in Japan, die steigende Nachfrage wird die Preise schon senken. Nur, sollen wir sagen „polit-ökonomisch“, könnte die flächendeckende Einführung des „RFF“ doch größere Probleme machen. Denn etliche Firmen, die angesichts der Überflüssigkeit ihrer Produkte und der gelegentlich erschreckenden Bedürfnislosigkeit der Konsumenten plausiblerweise auf die TV-Reklame angewiesen sind, würden in den Ruin gestürzt, was globale Auswirkungen nach sich zöge! Gegenmaßnahmen sind bereits angedroht worden. Worin die bestehen könnten, entzieht sich allerdings unserer Kenntnis. Klar aber ist, die Agenturen werden die Reklame für die Reklame, derzufolge Reklame keine Reklame ist, sondern „Information“, intensivieren. Zugleich wird die indirekte Reklame, das „Product-Placement“, unter dem Druck des „RFF“ rapide zunehmen. Eingebunden in die sogenannten eigentlichen Sendungen, wird sie von dem „RFF“ nur schwer zu enttarnen sein.

Wir gestehen, daß wir uns eine gewisse Schadenfreude nicht versagen können. Denn haben wir in den gloriosen '68er Jahren nicht oft genug den schönen Satz zitiert, die Kapitalisten würden gegebenenfalls auch noch den Strick liefern, an dem sie hängen sollen? Und jetzt liefern sie just das Gerät, das den Absatz ihrer anderen Produkte sabotiert!

Andererseits hält sich unsere Befriedigung doch in Grenzen. Denn in der Tat ist ein Problem nicht zu verleugnen, das auf geradezu dialektische Weise die Situation zuspitzt: Auch die bildschirmdeckende Einführung des „RFF“ — die Marketing-Strategen werden's genüßlich registrieren — wird anfangs TV-Reklame benötigen. Und die wird er nach den Prinzipien, nach denen er konstruiert ist, ebenfalls filtrieren. Ein sozusagen selbstmörderisches Gerät also. Ludger Lütkehaus