: Ein Haufen verrotteter Lebensmittel
■ Ein Theaterstück über Gorbatschow und Glasnost in London
Moscow Gold“ ist der englische Begriff für die Rubel, mit denen die Sowjets angeblich westliche Kommunisten finanzieren. Moscow Gold ist „eine sozialistische Tragödie“, sagt Tariq Ali, „und diese Tragödie ist nicht nur die von Gorbatschow. Sie bezieht sich auf die sozialistischen Strömungen im Innern des offiziellen Kommunismus — den Reformkommunismus.“ Tragödie will er im Hegelschen Sinn verstanden wissen — als Aufeinanderprallen zweier Gerechtigkeiten. Zu seinen tragischen Helden gehören Alexander Dubcek, Michail Gorbatschow und („im kleinen Maßstab“) Gregor Gysi. Alle hätten versucht, die Verhältnisse zu verändern, hätten sie aber nicht unter ihre Kontrolle gebracht.
Tariq Ali, 1943 in Lahore geboren, Student in Oxford und heute erfolgreicher Produzent und Autor engagierter Kulturprogramme für Channel 4, war Mitbegründer der Vietnam-Solidarität und Straßenkämpfer bei den Londoner Grosvenor Square Aufständen. Noch immer Sozialist, hofft er auf einen Weg „zwischen Anarchokapitalismus à la Thatcher und USA und stalinistischer Kommandowirtschaft“, auf die „sozialistische Demokratie“. Howard Brenton (48) ist Theaterautor, u.a. eines Stücks The Romans in Britain über Nordirland, für das er sich vor Gericht wegen „Unmoral“ verantworten mußte. Außerdem übersetzte er Brecht und Büchner, sein Roman Diving for pearls wird gerade in Deutschland verfilmt. Die Idee zum Gorbatschow-Stück kam den beiden nach der Aufführung ihrer Iranischen Nächte (1989), dem Theaterstück zu Salman Rushdie. „Als wir ein Thema suchten“, so Tariq Ali, „kamen wir sofort auf die Umwälzungen in der Sowjetunion.“ Die Zusammenarbeit der vielbschäftigent Autoren war wesentlich durch das Telefon bestimmt, monatelang. „Als die Mauer fiel, rief Howard mich an und sagte: ,Das ist das Ende des ersten Akts!‘“
Drei Putzfrauen bilden den Chor der Tragödie. Für sie gibt es Glasnost schon lange. Sie haben den Durchblick, dank ihrer langjährigen Arbeit in den Räumen des Politbüros. Sie schieben die halbtoten Greise auf ihren Krankenbetten zur Abstimmung, sie rollen die Särge und die Kranzspenden für die toten Vorsitzenden wieder aus dem Raum. Zynisch zählen sie ab — ein guter, ein schlechter, wieder ein guter, dann ein schlechter. Als Gorbatschow infolge der Politik des ehemaligen KGB-Chefs Andropow an die Macht kommt, hat er Glück: ein „guter“ ist an der Reihe. Aber er schafft es nicht, aus den Badezimmerhähnen der Putzfrau Katya Wasser statt Sand fließen zu lassen, er verhindert auch nicht, daß Zoyas Sohn in Afghanistan stirbt, während ihr zweiter Sohn mit seinem Vater über dessen Dienst in den Folterkellern der Geheimpolizei streitet.
Acht Jahre faßt Moscow Gold in drei Stunden zusammen, auch Lenin spielt mit. Und Stalin ist eine riesenhafte Statue, die zerbröckelt, ein steinerner Kopf auf einem Krankenbett, an daß sich der Geist des erschossenen Ceausescu klammert. Der Tisch des Politbüros ist ein großes Podium aus roten Gittern, rund wie eine Manege und Mittelpunkt der Handlung: Boris Jelzin torkelt auf ihm herum. Eine Sowjetpunkgruppe schreit: „Wir wollen Madonna heiraten“ (ein Erfolg der Perestroika), und Raissa Gorbatschowa massiert die empfindlichen Stellen ihres Gatten. „Das sind die baltischen Republiken“, sagt sie und knetet ihn fit. Leider konnten die Autoren sich nicht zwischen Klamauk und Drama entscheiden.
Zwei Schlüsse haben Ali und Brenton ersonnen. In dem einen wird Gorbatschow von der Moskauer Mafia umgelegt, in dem andern sitzt er mit Raissa vor der Datscha am Birkensee und beschließt, trotz der Proteste Raissas wegen der Menschenrechtsverletzungen in den USA, Weizen zu schicken — „das amerikanische Volk soll nicht hungern“.
Das ist der Schluß, der Tariq Ali besser gefällt. Er wünscht sich Moskau, Berlin, Prag und Paris als Aufführungsorte für das Stück, Rowohlt habe schon die deutschen Rechte gekauft. Er wollte Geschichte darstellen, wie sie ist, mit ihren Ungewißheiten, Möglichkeiten, Gefahren: In Moscow Gold läßt er die Putzfrauen von einer großen Kühltruhe reden, die auftaut und einen Haufen verrotteter Lebensmittel birgt. Das ist sein Bild für die Probleme, die die Veränderungen in Osteuropa mit sich bringen. Was zutage tritt, meint er, wenn sich der Deckel hebt: Nationalismus, Faschismus, Antisemitismus und zum Beispiel auch die Übermacht des deutschen Kapitalismus. „Welche Kräfte können dieser neuen Art von Panzer widerstehen?“ Tariq Ali sieht die Antworten nicht von der Bühne kommen, sondern von Zusammenschlüssen vieler Menschen in ganz Europa — von Bündnissen zwischen Gewerkschaftern, Grünen, Sozialdemokraten, Reformkommunisten und anderen gegen einen neuen Nationalismus. Dem Sektierertum hat er jüngst einen Schwanengesang gedichtet — seinen ersten Roman Redemption. Marianne Lange
Tariq Ali, Howard Brenton: Moscow Gold, mit David Calder (Gorbatschow).
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