: Grundgesetz steht zur Diskussion
■ Nur noch die CDU sträubt sich gegen eine Volksabstimmung über ein verändertes Grundgesetz/ Verändern wollen alle, aber die Grünen wollen eine neue gesamtdeutsche Verfassung
Berlin (taz) — Braucht das vereinte Deutschland eine neue Verfassung? Mit dem Votum der FDP für eine Volksabstimmung über ein verändertes Grundgesetz kommt auch die Debatte über die verfassungspolitischen Konsequenzen der deutschen Einheit wieder in Gang. Während die SPD schon im Zusammenhang mit den Verhandlungen zum zweiten Staatsvertrag sowohl Änderungen als auch eine Volksabstimmung über das Grundgesetz gefordert hatte, ist jetzt auch die kleinere Regierungspartei auf diese Position eingeschwenkt. Der FDP-Vorsitzende Graf Lambsdorff erklärte, eine Volksabstimmung könne zusammen mit der Bundestagswahl in vier Jahren stattfinden.
Die Diskussion um eine neue, gesamtdeutsche Verfassung war im Frühjahr in Gang gekommen, im Zusammenhang mit der Erarbeitung einer neuen Verfassung für die DDR am Runden Tisch. Dieser Entwurf wurde dann jedoch nach den Wahlen am 18. März von der Volkskammermehrheit beerdigt. Nachdem die Vereinigung über Artikel 23 als Beitritt der DDR abgewickelt wurde, war auch Artikel 146 — der das Grundgesetz lediglich als Übergangsverfassung bis zur Herstellung der staatlichen Einheit qualifiziert — faktisch uminterpretiert worden. Im Einigungsvertrag ist nicht mehr von einer neuen Verfassung, sondern in Artikel 5 nur noch von einer Ergänzung des Grundgesetzes um neue Staatszielbestimmungen die Rede, die innerhalb von zwei Jahren in die Wege geleitet werden sollen.
Auf dieser Grundlage streiten jetzt die etablierten Parteien um Grundgesetzveränderung und Volksabstimmung. Lediglich die Grünen/Bündnis 90 halten an ihrer ursprünglichen Intention einer neuen gesamtdeutschen Verfassung fest. Die CDU hat sich bislang gegen eine Volksabstimmung über das Grundgesetz ausgesprochen. Doch an inhaltlichen Veränderungen sind alle Parteien interessiert.
Zum einen wird in Bonn über die Erweiterung der Staatszielbestimmungen nachgedacht. Der Katalog der SPD reicht etwa vom Recht auf Arbeit, Wohnen und unversehrte Umwelt bis hin zum Recht auf Bildung. Gedacht ist dabei nicht an einklagbare Rechte. Festgeschrieben werden soll lediglich die Verpflichtung des Staates, für entsprechende Bedingungen Sorge zu tragen.
Neben einer solchen Ergänzung stehen allerdings auch brisantere Änderungen zur Debatte. Der Wunschkatalog der CDU/CSU enthält eine restriktivere Grundgesetzfassung des Asylrechts (Artikel 16) sowie die Beteiligung der Bundeswehr an Einsätzen außerhalb des Nato-Gebietes. Sowohl SPD als auch FDP lehnten eine Veränderung des Artikels 16 bislang kategorisch ab. Bundeswehreinsätze sollen nur im Rahmen von UNO-Friedenstruppen ermöglicht werden. Bundesminister Möllemann, der „dramatische Änderungen“ am Grundgesetz nicht für notwendig hält, setzte gestern noch eine Erweiterung der Bundeskompetenz im Bildungsbereich auf den FDP- Forderungskatalog.
Der rechtspolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion Gerald Häfner sieht weiterhin gute Chancen, für eine verfassungspolitische Debatte, die nicht nur auf die zuständigen Expertengremien beschränkt bleibt. Es könne nicht angehen, daß Änderungen quasi hinter verschlossenen Türen ausgehandelt und dann den BürgerInnen zur Akklamation vorgelegt würden. Die Grünen fordern eine breite öffentliche Beteiligung und wollen in einzelnen Punkten auch verschiedene Varianten zur Abstimmung stellen. Ein Verfassungsrat, paritätisch mit Männern und Frauen besetzt, soll den Entwurf erarbeiten. Grundlage der verfassungspolitischen Überlegungen der Grünen seien weiterhin, so Häfner, das Grundgesetz und der Entwurf des Runden Tisches, den er als „freieste, modernste und demokratischste deutsche Verfassung“ bezeichnet. Eis
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