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Der anspruchsvolle Hundehalter

■ »Animalia: Stellvertreter · Tierbilder in der zeitgenössischen Kunst« im Haus am Waldsee

Wenn erst das Asiatenkind gegen den Rassehund getauscht ist, dann kann auch das Schöne wieder zu sich selbst kommen: Für die ganze postinfantile Familie aus Vati, Mutti und Hundi zeigt das Haus am Waldsee eine Ausstellung.

Von Christel Ehlert-Weber

Mein Gott ja — ich weiß doch, daß dir die aus dem Leben herausgestellte Kunst ein Angang ist. Ich will dir nur mal sagen, daß du eine verfluchte Romantikerin, eine realitätsabgewandte Nostalgikerin bist. Jede Kunst ist Betriebskunst. Wie auch anders?«

»Und deshalb rufst du mich an, um mir das zu sagen?« frage ich sie.

»Nein, ich will dir nur erzählen, daß es jetzt eine Ausstellung für Hunde gibt. Also einen Ausstellungsraum, in den nur Hunde reindürfen. Und das ist doch mal was Besonderes. Darüber könntest du doch was schreiben«, flötet mir C. jetzt durchs Telefon.

»Also gut. Dieses eine Mal über Kunst.« Wir verabreden uns.

C. lebt mit K. in einem eheähnlichen Verhältnis. Beide haben studiert und mittelmäßig karrieriert. Eines Tages — es war nach einem Kurzurlaub auf La Palma, der »Insel der Mütter« — bemerkten sie die Inkompatibilität von einem späten Wunschkind mit ihrem eigenen fortgeschrittenen Alter. C. und K. sind zusammen fast so alt wie das Jahrhundert.

Sie lösten das Problem durch den käuflichen Erwerb eines Adoptivkindes aus Südostasien. Warum sich in der Folge das rechte Elternglück nicht einstellen mochte, ist für eine Erörterung an dieser Stelle zu belanglos. Interessant ist nur die Auflösung der semiödipalen Triangulation: C. und K. tauschten das Kind gegen einen Golden Retriever.

Der Golden Retriever ist ein Entenapportierhund mittlerer Größe mit seidigem, eben goldfarbenem Fell und einem überproportional breiten Kopf. Das Tier wirkt so friedlich, wie es tatsächlich ist, flößt also Vertrauen ein und ist somit die im amerikanischen Werbefernsehen am häufigsten verwendete Hunderasse. Speziell für Assekuranz-Commercials.

Der Hund von C. und K. heißt »Esco vom Golden-Ried«, wird aber von seinen Besitzern kurz »Eskimo« oder einfach »Hundel« genannt. Gemessen daran, daß das Tier im Fachgeschäft etwa 2.000 DM inklusive Mehrwertsteuer kostet, haben C. und K. einen finanziell unlukrativen Tausch gemacht, als sie den Hund nahmen und ihr südostasiatisches Adoptivkind gaben. »Doch das mußt du anders sehen«, erklärte mir K. damals in seiner nüchternen Art. »Die laufenden Kosten für Eskimo sind sehr viel geringer, und er verbraucht weniger. Zwar hält er nicht so lange, aber selbst wenn man ihn alle zehn Jahre erneuern muß, bleibt unterm Strich immer noch ein relatives Mehr. Ein Plus, was wir jetzt in unsere Kunstsammlung stecken können. Vorher, als wir noch das Kind hatten, konnten wir nicht mal zusammen zu Vernissagen gehen oder mußten extra einen Babysitter engagieren.« [Etwas kühl wird mir bei dieser »nüchternen Art« schon! d. säzzer] Kurzum, die drei, C., K. und Eskimo, verstehen sich prächtig, und darauf kommt es schließlich an.

Und so treffe ich sie dann vor dem Haus am Waldsee, wo derzeit die Ausstellung Animalia: Stellvertreter · Tierbilder in der zeitgenössischen Kunst gegeben wird. Eskimo ist prima gebürstet, wie immer, C. und K. sind guter Dinge, ebenfalls wie immer. »Zuerst die Installation für den Hund«, legt C. die Reihenfolge fest.

»Ein Hund, ein Hund, endlich ein Hund. Nein, und noch dazu ein so schöner. Wie heißt er denn? Stellen Sie sich vor, gestern abend auf der Vernissage, der Wolf Kahlen, der Künstler, der dieses Hundeterritorium dort drüben angelegt hat, der war ganz traurig, daß kein einziger Hund zur Ausstellungseröffnung erschienen ist.« Die Dame mit den silbergrauen Haaren und der besonderen Aura, die sich sicherlich erst nach jahrzehntelangem persönlichem Umgang mit der Kunst einstellen vermag, geleitet uns zu einer kleinen Remise, die sich neben dem Haupthaus befindet. Sie besteht nur aus einem einzigen Raum, der sonst wohl zum Aufbewahren von Gartengeräten genutzt wird, jetzt aber fast gänzlich ausgeräumt ist.

»Dem Künstler geht es darum, Zeichen, Bilder und Ausdrucksformen für Realitäten zu finden, die jenseits der Grenzen menschlicher Rationalität liegen, ja in direktem Widerspruch zu ihr stehen, und mit Hilfe dieser Formen die Sinne der Menschen für das metaphysische Geschehen zu öffnen«, erklärte uns die silbergraue Aura. Eskimo pinkelt formlos gegen einen Strauch. »Komm mal schön her«, ruft C. Immer mehr Ausstellungsbesucher drängen sich in dem kleinen Raum. Nur Eskimo will nicht.

Eine weiße Pappwand unterteilt den Raum. Sie ist nicht ganz bis auf den Boden hinuntergezogen, so daß der Hund leicht unter ihr hindurchlaufen könnte. Damit wäre er der direkten Beobachtung und Einflußnahme seiner Besitzer entzogen. Aber Eskimo will sich nicht entziehen lassen, sondern schwänzelt mittlerweile zwischen Ausstellungsbesucherbeinen hin und her. »Los, geh mal gucken, Eski, tu uns den Gefallen.« Wenn Eski täte, könnten wir den Hund wahrscheinlich auf dem Monitor sehen, der vor der weißen Wand steht. Können wir aber nicht, denn Eskimo will keine Kunst machen. Also betrachten wir den Monitor: Er klemmt auf dem Fußboden unter einem Tischbein. Der Bildschirm zeigt Flächen und größere Punkte.

»Dort sieht man das Hundeterritorium.« K. ist in die Hocke gegangen, um unter der Wand hindurchzusehen. Eskimo steht neben ihm und leckt K. am Ohr. Die Grauhaarige erklärt C. die künstlerische Intention: »Die Erfahrung, an Grenzen zu stoßen, ist eine der menschlichsten. Keine Anpassung ist dann mehr nötig, keine Angleichung mehr möglich: Die Grenzen menschlicher Wahrnehmung grenzen uns ab, die Tiere und Pflanzen bleiben unter sich. Wir sind abgeschlossen vom Zeitterritorium einer Schnecke, vom Lichtterritorium einer Pflanze, vom Geruchsterritorium eines Hundes. Denn sehen Sie, der Künstler Wolf Kahlen hat Geruchsmarken in diesem Raum ausgelegt, sogenannte Geruchsskulpturen, die dem Hund eine eigene Vorstellungswelt erschließen, welche eben vollkommen abgetrennt von der unsrigen ist. Der Herr Kahlen hat erzählt, daß er mit dieser Installation schon in Polen war und daß die Hunde davor Schlange standen.« K. versucht Eskimo unter der Wand hindurchzuschieben.

Ein kleiner Junge kommt mit einem Stein. Er hält ihn Eskimo unter die Nase, wirft ihn in die Luft und fängt ihn wieder auf. Dann läßt er den Stein mit Schwung hinter die Trennwand rollen. Mit einem Satz ist der Hund unter der Wand verschwunden. »Sehen Sie mal«, ruft ein Mann und zeigt auf den Bildschirm, »der Hund läuft auf dem Kopf!« C. sagt »ah«. Ein verkehrt herum erscheinender heller Hundeschatten hetzt über den Schwarzweißbildschirm und verschwindet. Eskimo kommt unter der Wand hervor und apportiert den Stein. K. sagt: »Na siehst du.« Alle schlendern jetzt zum Haupthaus und kommentieren das Ereignis. Der Junge spielt mit dem Hund, indem er den Stein ins Gebüsch wirft. »Eskimo, komm jetzt«, ruft C. ungeduldig. Sie will sich die restliche Kunst anschauen.

»Den Hund müssen Sie aber hier an die Leine nehmen«, bittet die Eintrittskartenverkäuferin. Denn gleich im ersten Raum schnüffelt der Gemeinte an einem Steinhaufen von Johannes Brus herum. »Der Hund ist stubenrein«, befindet C., bevor sie der Aufforderung nachkommt. Der Steinhaufen ist Teil eines Environment-Triptychons, aufgeschichtet zwischen einer knienden Gestalt und dem blauen Pferd. K. hat den Ausstellungskatalog in der Hand. »Das blaue Pferd kennen wir als Topos für einen romantizistisch-mystizistisch aufgeladenen Kunstbegriff, eben von Franz Marx. Brus nun dementiert mit diesem Trio Der Bildhauer und sein Pferd die Möglichkeit der Kunst, mittelbar oder unmittelbar Sinn zu stiften. Hör mal zu«, K. blickt C. bedeutsam über den Halbrand seiner Lesebrille an, »es ist die spezifische, einer gewissen Verlorenheit des Bildhauers geschuldete Beziehungslosigkeit zwischen Bildhauer und Pferd, seinem Geschöpf, die die zertrümmerte Negativform des Pferdes zwischen beiden nicht als typisches Relikt eines üblichen Arbeitsschrittes erscheinen läßt, sondern ihr die Aura des Einmaligen bzw. Letztmaligen, endgültig Zerstörten verleiht, aus dem kein blaues Pferd je wieder entstehen kann.« — »Schade«, sagt C.

»Wenn Eskimo ein toter Hase wäre...«, mische ich mich vorsichtig ein, doch C.s Blick läßt mich verstummen.

»Sie meint wahrscheinlich die legendäre Performance von Joseph Beuys: Wie man einem toten Hasen die Bilder erklärt«, interpretiert mich K. Ich nicke einverständig. C. nicht. »Also der Beuys«, sagt K. und nimmt mit Schwung die Brille ab, »der ist mit einem toten Hasen auf dem Arm durch den Ausstellungsraum der Galerie Schmela gelaufen und hat dem Tier die Bilder erklärt. Die Zuschauer konnten nicht hören, was er sagte, sondern nur durch ein Fenster beobachten, wie er auf den toten Hasen einredete. Das war, wenn ich mich richtig erinnere, 1965.«

Wir stehen inzwischen vor Norbert Tadeusz' Schlachthausbildern. Zerhauene Tier- und nackte Menschenkörper christuskreuzförmig angeordnet. Eskimo scheint mir gelangweilt. Er riecht kein Blut, nichts tropft von der Leinwand. Vielleicht sollte man mit dem Hund einen Versuch vor den Schlachthausbildern des Ex-DDR-Malers Jürgen Wenzel durchführen. Doch jetzt will der Hund zu den Känguruhs.

Von Nikolaus Lang mit bedeutsamer Füllung versehene und aufgespießte Känguruhkadaver jagen in stehendem Sturmlauf durch den Raum hinter den Fellresten einer Dingogruppe her, die die Wand hinauffliehen will. C., die schon wiederholt in Australien war, bestätigt, daß die Tiere dort häufig auf den Fernstraßen zu Tode kommen. Und K. erzählt von Mexiko. Wenn man sich mit dem Wagen einem Rind nähere, das in der Nacht vorher von einem Lastwagen getötet worden ist, verschreckt man die Geier. Sie kommen aus dem Bauch des Rindes hervor, vielleicht mit einem Stück Darm im Schnabel, und erheben sich in die Lüfte. Und C. hat einmal in einem Film das Schicksal eines deutschen Auswandererehepaars in Australien miterlebt. Nachdem hochfliegende Pläne zerstoben waren, fand das Paar Anstellung auf einer Farm. Der Mann mußte Dingofallen aufstellen und bekam für jedes Tier eine Kopfprämie. Eines Tages legte er seinen eigenen Kopf in solch eine Falle und ließ sie zuschnappen.

Wir plaudern über Urlaubsreisen und schlendern zur Gartenterrasse, wo gerade eine Tierperformance beginnt. Der Künstler Werner Klotz erscheint mit einem Postnormpaket. Darin befinden sich neun Weinbergschnecken. Er nimmt die Schnecken aus dem Karton und setzt sie auf einen Korkklotz, den man zu anderen Gelegenheiten in Sandpapier einwickelt, um damit per Hand Türen oder Fenster abzuschleifen.

Die Schnecken finden nur übereinandergestapelt Platz auf dem Kork. Der Künstler setzt das Schneckenfloß in ein quadratisches Wasserbassin auf dem Boden. Um das Bassin herum stehen kunstinteressierte Menschen herum und beobachten die Aktion der Schnecken. [Herzzerreißend, diese menschlichen Kotzbrocken! d. säzzer]

Mit ihren langsamen, kaum wahrnehmbaren Bewegungen produzieren die Schnecken ein kleines Chaos. Der Kork kommt aus dem Gleichgewicht. Er würde kentern, wäre das Bassin nicht so flach. So aber kommt er auf einer Kante zur Ruhe. Eine Schnecke rutscht ins Wasser, behält aber den Kontakt zum Floß. Ein Mann ruft »ah!«. Eine Frau fragt: »Können die schwimmen?« Eine andere: »Sterben die jetzt?« Fast jeder hat etwas zu sagen: »Früher habe ich sie auch gegessen.« — »Tiere wegwerfen, was für eine Kunst.« — »Nadolny.« — »Ist doch Quatsch.« — »Wie sie die Hälse strecken.«

Inzwischen ist eine Schneckenvierergruppe vom Floß gekippt. Wie langsam sich dramatische Situationen entwickeln können. Eskimo will an den Trinknapf, darf aber nicht. C. sagt: »Schade, daß ich jetzt keinen Fotoapparat dabeihabe. Ich würde gerne die Menschengruppe fotografieren. Aus einer entfernten Froschperspektive, wie alle so im Halbkreis gebeugt über einer Kunst stehen, die man auf dem Foto nicht sehen kann.« Dann geht sie mit dem Hund zum Waldsee herunter. K. begleitet mich durch die übrigen Ausstellungsräume.

»Hödicke, Ina Barfuss, Mario Merz, Valie Export... doch, ja, das Bemühen der Ausstellungsmacher ist durchaus sichtbar«, krittelt K. herum. »Wie gut, daß der Hund das nicht sieht.« K. deutet auf einen rotierenden Metallstab, der ein angegrilltes Huhn aufgespießt hat. Der schräggestellte Stab lehnt sich an ein Buchstabenfeld an, auf dem er eine Spur einschreibt. Der Boden unter dem Huhn ist mit verkrustetem Blut und getrockneter Lymphe bedeckt. »Terry Fox: Ultima Multi, absolut unsentimentales Mitleid, das verhindern soll, daß die in den Installationen und Aktionen benutzten Tiere nur vom Menschen reden«, erklärt mir K. »Letztens sprach ich mit einem Dramaturgen über Kunst und Provokation. Er war der Meinung, es gebe kein Mittel mehr, mit dem man provozieren kann. Stimmt aber nicht. Man kann ein Stück tropischen Regenwald anzünden, wie in Apokalypse Now, oder Tiere quälen. Diese blutig heiligen Tierschlachtweihen, wie sie Hermann Nitsch in den siebziger Jahren durchgeführt hat — heute kaum noch vorstellbar.«

»Laß das nicht deinen Hund hören«, mahne ich K.

»Das Tier als das Heilige, das Tier als Spiegel des Menschen, das Tier als organische Kreatürlichkeit, als auf sich selbst verweisende Natur. Drei Auffassungen vom Tier. Schau dir William Wegmann mit seinen berühmten Weimaranern an. Der Hund als Mensch, wie kitschig. Nun aber dagegen unser Eskimo!«

Der Hund steht bis zum Bauch im Wasser des Waldsees und beobachtet aufmerksam den Streit zwischen C. und einer anderen Ausstellungsbesucherin. Dies sei gefälligst ein Biotop und keine Hundebadeanstalt. K. hebt einen morschen Ast vom Boden auf, droht damit lachend der Frau und wirft ihn ins Wasser. Der Hund stürzt hinterher. »Ein Beispiel lebendiger Apportierkunst«, brummelt K.

Die Ausstellung Animalia: Stellvertreter · Tierbilder in der zeitgenössischen Kunst im Haus am Waldsee, Argentinische Allee 30, Berlin 37, läuft bis 18.11. noch täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr.

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