Kalkar: Die Milliardenruine als Schneller Geldbrüter

Illegaler Arbeitnehmerverleih, Angestelltenbestechung, Schmiergeldzahlungen: Viele Firmen machten mit dem Baustellenpersonal Zusatzgeschäfte  ■ Von Frank Berger

Ziemlich genau sieben Milliarden Mark hat er bislang gekostet, ungefähr drei davon kamen auch aus Bonn: der Schnelle Brüter in Kalkar, einstmals als Wunderwerk der Technik gefeiert, nach jahrelangen politischen Querelen aber auf Eis gelegt. Glaubt man nun den Fahndern der Staatsanwaltschaften in Essen, Duisburg und Köln, dann wurde bei der Erstellung des Brüters auch noch in erheblichem Umfang geschummelt und gemauschelt — über Jahre hinweg und vom illegalen Arbeitnehmerverleih bis zur regelmäßigen Überweisung von Schmiergeldern.

Vom belgischen Stromgiganten Electronucleaire, der selber mit 15 Prozent am Bau des Schnellen Brüters beteiligt ist, hatte Behrendt Anfang der achtziger Jahre den Auftrag bekommen, Subunternehmerpersonal für die Großbaustelle am Niederrhein einzukaufen. Diesem Ansinnen kam der Ingenieur nach — allerdings, wie die Ermittler meinen, auf eine höchst zweifelhafte Art und Weise. Wer nämlich in Kalkar als Subunternehmer arbeiten wollte, der mußte — den Ermittlern zufolge — Behrendt für seinen Vermittlungsdienst „provisionieren“: und dies nicht nur einmal, wie es bei Vertragsabschlüssen in der Wirtschaft bisweilen üblich ist, sondern grundsätzlich für die gesamte Dauer des Brüter-Einsatzes.

Dabei wurden die in Kalkar beschäftigten Firmen fast durchweg nach ein und demselben Schema geschröpft: Kaum hatten sie bei ihrem Vertragspartner, der Electronucleaire, Werk- oder Personalleistungen abgerechnet, da stand auch schon Behrendt auf der Matte, um seine anteilige Provision so schnell wie möglich in Empfang zu nehmen. Sogenannte Provisionsrechnungen belegen den Deal.

Streckenweise, so das Essener Ingenieurbüro Lömke, seien mit dem Auftragsvermittler sogar feste Stundenverrechnungssätze vereinbart worden — 8.50 DM für jede abgerechnete Ingenieurstunde, weitere vier bzw. drei Mark bei Meistern und Monteuren. Alles in allem, behauptet zumindest die heutige Lömke-Geschäftsführerin, habe allein ihr Unternehmen rund 100.000 DM an Behrendt „provisioniert“, wobei sie mit dieser Summe noch relativ günstig wegkam. Mindestens 260.000 DM — davon zeigt sich die Staatsanwaltschaft in Duisburg überzeugt — kassierte Behrendt bei den Geschäftsführern der Hamborner EGI GmbH ab. Speziell in diesem Zusammenhang geht es aber nicht nur um die Auszahlung der rechtlich höchst umstrittenen Provisionen, die zuweilen auch schlichtweg als Schmiergeld bezeichnet werden.

Nach Ansicht der Duisburger Staatsanwaltschaft steht die EGI GmbH auch in dem dringenden Verdacht, einen Teil ihres Umsatzes in Kalkar durch illegale Leiharbeit erzielt zu haben.

Stein des Anstoßes: eine von der EGI an den belgischen Stromerzeuger Electronucleaire abgesandte Rechnung über angeblich gelieferte Schaltschränke, die aber nie auf der Brüter-Baustelle auftauchten. Glaubt man den Ermittlungsergebnissen der Duisburger Staatsanwälte, dann ging es nämlich in Wirklichkeit um ein viel plumperes Geschäft — die Electronucleaire brauchte dringend billige Arbeitskräfte, die ihr von der EGI postwendend geliefert wurden. Damit der Verleih dieser Arbeitskräfte nicht auffiel — nach Angaben des nordrhein-westfälischen Landesarbeitsamtes besitzt die EGI keine entsprechende Erlaubnis — wurden die Lohnkosten als „Schaltschränke“ abgerechnet.

Ähnliche Verdachtsmomente richten sich im übrigen auch gegen die in Bochum ansässige Firma Bleske Indutrieplanung, die sich vor allem am illegalen Verleih von technischen Zeichnern und Konstrukteuren bereichert haben soll. Wie ein Sprecher des nordrhein-westfälischen Landesarbeitsamtes auf Anfrage bestätigte, seien im Zuge verschiedener Ermittlungen mindestens zehn in Kalkar tätig gewesene Firmen festgestellt worden, „die es mit den gesetzlichen Regelungen zur gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung wohl nicht so genau genommen haben“. Zwei dieser „Problemfälle“, so Referatsleiter Heinrich Elstermeyer, hätten inzwischen mit einem Bußgeldbescheid über knapp 30.000 DM abgeschlossen werden können. Der Rest bedürfe noch zusätzlicher Recherchen.

Zumindest für die beiden Geschäftsführer der Duisburger EGI GmbH dürften sich die langjährigen Mauschelgeschäfte in Kalkar aber schon bald in einem gerichtlichen Nachspiel bemerkbar machen. Angaben eines Justizsprechers zufolge wurden sie nämlich bereits zu Beginn dieses Jahres von der Staatsanwaltschaft wegen Angestelltenbestechung angeklagt.

Ausgerechnet der Hauptinitiator der ganzen Affäre, der Essener Ingenieur Hubert Behrendt, wird in dieser Sache indessen wohl nicht mehr auf der Anklagebank Platz nehmen müssen. Wegen Steuerhinterziehung von fast 700.000 DM war er zwar zwischenzeitlich vom Landgericht Essen zu zwei Jahren Haft mit Bewährung verurteilt worden. Darüberhinaus gehende Ermittlungen wegen des Verdachts der Bestechlichkeit stellten die Staatsanwälte in Duisburg aber schon bald wieder ein, „weil kein wesentlich höheres Strafmaß gegen Behrendt zu erwarten gewesen wäre.“