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Keine Angst vor dem ganzen Rudi

Eine Vielzahl von Disziplinen bei der Weltmeisterschaft im Trampolinspringen begeistert in Essen 5.000 Zuschauer/ Ausschau nach dem geliebten Trampolin der Schulzeit ist hoffnungslos  ■ Aus Essen Thomas Hasselbauer

Irgendwann in der grauen Vorzeit des Mittelalters baute sich ein französischer Artist namens du Trampoline in Spanien ein Sprunggerät, um fortan im Fluge sein Brot zu verdienen. Zwar konnte dieser Flugartist in punkto Popularität nie seinem antiken Vorfahren Ikarus das Wasser reichen [dafür hätte er sich an seinem Gerät den Hals brechen müssen, säzzer], doch immerhin trägt die vollendete Kultivierung des fliegenden Körpers noch seinen Namen: Trampolinspringen.

Daß indes die postmodernen Darbietungen auf dem 4,26 Meter langen und 2,13 Meter breiten, an 118 Stahlfedern aufgehängten Sprungtuch nichts mehr mit dem feudalen Jahrmarktgehopse des du Trampoline gemein haben, demonstrierten am Wochenende in Essen die Teilnehmer der Trampolinweltmeisterschaft recht eindrucksvoll. Über 5.000 Zuschauer wollten sich dieses Spektakel nicht entgehen lassen. Und dabei steht das Springen auf dem stoßgedämpften, geflochtenen Nylonmaterial nicht gerade im Verdacht, den Massensport Fußball vom Thron zu stürzen. Selbst in den Rang einer olympischen Disziplin ist die Sektion des Deutschen Turnerbundes noch nicht erhoben worden.

Was macht also die „Könige der Lüfte“ so interessant? In erster Linie sicherlich die subjektive Wahrnehmung des Beobachters. Denn trotz der Kürze einer Trampolindarbietung in nur 30 Sekunden wird dem Zuschauer einiges geboten. Aus der mannigfachen Anhäufung von Sprungteilen müssen die Athleten binnen einer halben Minute den strengen Punktrichtern nicht weniger als zehn Übungsteile im Flug ästhetisch zelebrieren, um mit guten Noten vom Tuch davonzukommen.

Bei der Aneinanderreihung von Salti in einfacher, anderthalbfacher oder zweifacher Ausführung, gepaart mit diversen Schrauben, gilt es zusätzlich, möglichst wenig an Höhe zu verlieren. Bis in die wahrlich luftigen Gefilde von acht Metern springen die Frauen, die Männer bringen es mittlerweile sogar auf zehn Meter. Was allenthalben nur den Anschein einer Anhäufung von Flugeskapaden erweckt, bedeutet aber für die eifrigen SpringerInnen harte Arbeit. Schließlich betreiben nicht weniger als 15.000 SportlerInnen den Trampolinsport in Gesamtdeutschland, doch lediglich einem Dutzend gelingt der Sprung ins Nationaldreß. Einen typischen und daher exemplarischen Werdegang weist die erst zwanzigjährige Ivonne Kraft auf. Aus dem kindlichen Springen aus Spaß entwickelte die angehende Studentin einen Full-time-Job.

Ivonne begann bereits im Grundschulalter mit dem Trampolinspringen. Eine günstige Zeit, da die Koordinationsfähigkeit des Körpers, besonders im vorpubertären Alter, geschult wird. Als sie schließlich mit 14 Jahren den „Baby Fliffis“ (1,5 Salto mit halber Schraube) auf dem Sprungtuch stehen konnte, war der Weg zum Spitzensport geebnet. Fortan steigerte sie analog mit fortschreitendem Alter den Baby Fliffis zu einem Fliffis (1,5 Salto mit 1,5-facher Schraube) und den „Baby Rudi“ (ein vorwärts gehockter Salto mit einer halben Schraube) zu einem ganzen Rudi (Salto mit 1,5-facher Schraube).

Um diese akrobatischen Sprünge sauber gestanden zu bekommen, bedurfte es allerdings eines täglichen Trainings von nicht minder als vier Stunden. Und, um das wichtigste auch nicht zu vergessen, zahlreicher Mutproben: „Wer ein guter Springer sein will, darf keine Angst haben“, so umschreibt Ivonne Kraft recht offen das Erfolgsrezept der Trampolinspringer. Zwar soll ein Sprung von der Fensterbank aus dem Parterre weit gefährlicher sein als ein Aufprall auf dem als Dämpfungskörper fungierenden Sprungtuch, indes auf einen Versuch wollte es dennoch keiner der Zuschauer in der Essener Grugahalle ankommen lassen.

So blieb die Faszination des Trampolinspringens, nämlich das „Fliegen bei gleichzeitiger Kompetenz über den eigenen Körper“, wie es Bundestrainer Berger auszudrücken pflegte, nur den TeilnehmerInnen der Weltmeisterschaft vergönnt.

Trampolinspringen ist, anders als Kunstturnen, nicht nur ganz jungen Menschen vorbehalten. Beispiel: die dreißigjährige Gabi Bahr aus Duisburg. Die Mutter von drei Kindern ersprang in Essen gleich zwei dritte Plätze in der Mannschaft und im Synchronspringen. Schon an den ersten zwei Tagen der Weltmeisterschaft führte der Medaillenspiegel die bundesdeutschen SpringerInnen bereits sechsmal auf, wenn auch kein einziges Mal in der Kategorie Edelmetall (das holten sich die Sowjets).

Doch wer mit dem Anspruch nach Essen fuhr, lediglich Zeuge des aus dem Schulsport bekannten Trampolins zu werden, staunte nicht schlecht. Das blaue Sprungtuch ist längst und geradezu inflationär um einige Nuancen reicher geworden. Ein Minitramp, doppelt so groß wie das bekannte, und eingeteilt auf eine sogenannte Auf- und Absprungzone, soll den Sportler zu noch waghalsigeren Sprüngen nötigen. Das Tumbling schließlich weist eine deutliche Affinität zur Diagonalbahn beim Kunstturnen auf, und wird dementsprechend auch als eine dreißig Meter lange Akrobatikbahn mit Flick- Flacks und anderen Übungsteilen benutzt.

Wem das alles viel zu viel ist, wer aber dennoch Interesse an dieser ästhetischen Sportart hat, sollte den Kopf nicht in den Sand stecken. Eher ab ins Wasser: Fast alle SpringerInnen beginnen und verfeinern ihre Sprünge mit Übungen vom Dreimeterbrett im Hallenschwimmbad. Dort allerdings tauchen sie zuerst mit dem Kopf ein.

Trampolin, Turner, Mannschaft: UdSSR Einzel: Alexander Moskalenko (UdSSR) 68,1; Frauen:Elena Merkulowa (UdSSR) 64,6; Doppelmini, Einzel, Männer: Adrian Wareham (Australien) 28,9 , Frauen: Lisa Newman-Morris (Australien) 24,6; Synchron, Frauen: Tatjana Luschina/Elena Merkulowa (UdSSR) 132,2, Punkte; Männer: Dimitri Poljarusch/Sergej Nestrelja (UdSSR) 135,3; Tumbling, Mannschaft, Frauen, Männer: Frankreich; Einzel, Frauen: Chrystel Robert (Frankreich) 63,46; Männer: Pascal Eouzan (Frankreich) 67,9.

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