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Die Erblast der NVA: sowjetische MiG-29 und ihre Piloten

Die Bundeswehr kämpft mit der Integration des Ost-Militärsystems/ Erheblicher Parteienstreit um die Zukunft der Superjäger/ Landen die MiG-29 aus dem Besitz der NVA auf der Müllhalde?  ■ Von Yacine Le Forestier

Cottbus (afp) — Mit 2.400 Kilometern pro Stunde könnten Bundeswehrsoldaten derzeit in schwindelerregender Höhe über Deutschland fliegen. Denn mit der Vereinigung übernahm die gesamtdeutsche Armee nicht nur marode Kasernen der Nationalen Volksarmee (NVA), sondern auch deren ganzen Stolz: die hypermodernen sowjetischen Jagdflugzeuge vom Typ MiG-29.

Damit ist die Bundesrepublik das einzige Land im westlichen Militärbündnis, das über die Paradejäger der Roten Armee verfügt. Doch derzeit stehen die Motoren noch still, denn der plötzliche Kurswechsel der Flugzeuge vom Warschauer Pakt in die Nato stellt Piloten und Politiker vor immense Schwierigkeiten.

Die Probleme beginnen schon bei der Verständigung zwischen den Soldaten aus Deutschland Ost und West. Die ehemaligen NVA-Piloten, allein mit den sowjetischen Flugzeugen vertraut, funkten bisher in russischer Sprache. Nun sollen Intensivkurse in Englisch möglichst rasch eine deutsch-deutsche Kommunikation über den Wolken ermöglichen.

„Seit rund zwei Wochen sind wir jetzt schon am Boden und haben die Pause genutzt, um Englisch zu lernen. Aber unsere erste Operation wird noch lange auf sich warten lassen“, prophezeit Elitepilot Michael Baumgart in Preschen bei Cottbus, wo 24 Maschinen des Typs MiG-29 ordentlich aufgereiht auf ihren Einsatz warten.

Auch die militärischen Navigationssysteme unterschieden sich in östlichen und westlichen Flugräumen. Die Luftwaffe der Bundeswehr will ohnehin nur rund 100 der 540 ostdeutschen Piloten weiterbeschäftigen. „Wir haben keine Zeit zu verlieren. Nur die Anpassungsfähigsten werden übernommen“, stellt der 30jährige Baumgart klar.

Außer ihm strengen sich allein in Preschen 40 ehemalige NVA-Piloten an, sich die Nato-Regeln in kürzester Zeit einzupauken. Das Schicksal ihrer technischen Weggefährten, der MiG-29, ist noch mehr als ungewiß. Den Jagdbombern droht aus politischen Gründen die Abschiebung in den Osten oder die Verschrottung. Obwohl sie technologisch höchstes Niveau haben, will sich die Bundeswehr mit ihren neuen Jagdflugzeugen nicht anfreunden.

Selbst wenn der kalte Krieg seit langem der Vergangenheit anzugehören scheint, zögern die Generäle auf der Hardthöhe, sich in eine einseitige Abhängigkeit zur Sowjetunion zu begeben: Ersatzteile für den leistungsstarken Bomber müßten in Moskau bestellt werden.

„Wir werden Leistung und Kosten für die Unterhaltung der Flugzeuge genau abwägen und dann eine Entscheidung treffen“, drückt sich der Bonner Staatssekretär für Verteidigung, Willy Wimmer (CDU), bei einem Besuch in Preschen sehr vorsichtig aus. Hier beginnt der Parteienstreit: Nach Ansicht von Erwin Horn, SPD-Mitglied des Verteidigungsausschusses im Bundestag, sollten die Deutschen sämtliche MiG-29 übernehmen. Er plädiert im Gegenzug für einen Ausstieg aus dem teuren Jäger-90-Projekt. „Keiner wird verstehen, daß wir angesichts unserer dramatischen Verschuldung neue Waffensysteme der NVA wie die MiG-29 auf die Müllhalde wandern lassen, um statt dessen Milliardenaufträge für Rüstung zu vergeben“, erklärt Horn.

Die militärische Ausrüstung der ehemaligen Volksarmee erreicht den stattlichen Wert von 90 Milliarden D-Mark. Doch nach der Unterzeichnung der Wiener Verträge zur konventionellen Abrüstung müßte das ostdeutsche Waffenarsenal voraussichtlich auf einen Wert von 45 bis 50 Milliarden D-Mark schrumpfen, schätzt Horn. „Wir müssen also die verwendungsfähigen Waffen übernehmen“, meint der SPD-Verteidigungsexperte.

Eine Abhängigkeit von sowjetischen Ersatzteillieferungen für die MiG-29 fürchtet Horn jedenfalls nicht: „Das ist ein hervorragendes Modell für die Zusammenarbeit in einem gesamteuropäischen Sicherheitssystem.“

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