piwik no script img

Niederlagen für Göttinger Staatsanwalt

Abstruse Anklagekonstruktionen gegen TeilnehmerInnen der Demonstration am 25.November 1989 zum Tod von Cornelia Weßmann halten vor Gericht nicht stand/ Manipulierte Sicherstellungsprotokolle/ Einziger „Erfolg“ der Anklage: Geldstrafe wegen Mitführens von handelsüblichem Tränengasspray  ■ Von Bernd Siegler

Der vergangene Freitag war ein schwarzer Tag für Staatsanwalt Hans Heimgärtner. Der für politische Verfahren zuständige Mann der Göttinger Anklagebehörde mußte mitansehen, wie seine mühsam zusammengebastelte Anklage gegen den 36jährigen Andreas V. aus Frankfurt am Main wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz wie ein Kartenhaus in sich zusammenbrach. V. wurde freigesprochen wie schon eine Woche zuvor der 22jährige Stefan K. aus Nürnberg und Mitte Juli Marita S. aus Braunschweig.

Ihnen war zur Last gelegt worden, auf dem Weg zu einer Demonstration nach Göttingen am 25.November 1989 in Pkws „Waffen oder sonstige Gegenstände, die zur Verletzung von Personen oder Beschädigung von Sachen geeignet und bestimmt waren“, mit sich geführt zu haben. Stolz hatte damals die Göttinger Polizeiführung der Presse 63 Müllsäcke mit beschlagnahmten Gegenständen vorgeführt, um das angebliche Gewaltpotential der Demonstration zu beweisen.

Wie 20.000 andere Personen auch wollten K., V. und S. gegen die Umstände demonstrieren, unter denen eine Woche zuvor Cornelia Weßmann zu Tode gekommen war: Nach Auseinandersetzungen zwischen Skinheads und Autonomen in der Göttinger Innenstadt hatte die Polizei am 17.November 1989 eine Gruppe von AntifaschistInnen verfolgt und kurz vor der stark befahrenen vierspurigen Weender Landstraße in die Enge getrieben. In dieser Gruppe hatte sich die 24jährige Studentin befunden. Auf der Flucht vor der Polizei rannte sie in ein Auto und wurde überfahren; sie starb noch am Unfallort.

Bereits kurz nach Weßmanns Tod war ein Mitschnitt des Funkverkehrs der beiden Polizeieinheiten bekannt geworden, die die Gruppe, in der sich die später Getötete befand, eingekesselt hatten. Danach hatte der Leiter eines Zivilstreifenkommandos (ZSK) bei dem Dienstabteilungsführer des 1.Reviers angefragt, ob man die Gruppe „plattmachen“ sollte. Die Frage wurde mit „ja“ beantwortet.

Ein durchaus anpassungsfähiger Richter

Das Klima in Göttingen war entsprechend aufgeheizt, als K. mit einem schon etwas altersschwachen Ford kurz vor der Stadt in eine Polizeikontrolle gerät. Beamte beschlagnahmen die im Kofferraum gefundene „Kiste Leergut mit 20 Flaschen“ ebenso wie einen Kanister Benzin, einen Kanister Öl, einen Trichter sowie ein Päckchen Knetmasse.

Zwei Monate später steht die Anklageschrift. Für den zuständigen Staatsanwalt Heimgärtner ist dies kein Fall für den Strafrichter, sondern gleich für das Schöffengericht.

So schnell, wie Heimgärtner die Ermittlungen gegen die Polizeieinsatzleitung vom 17.November wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung eingestellt hat, so akribisch tüftelt er an abstrusen Anklagekonstruktionen gegen TeilnehmerInnen der Demonstration am 25.November. Dabei unterlaufen ihm Nachlässigkeiten. Zum Beispiel war K. nicht der Halter, sondern lediglich Fahrer des Fords. Angaben, wann und wo die Sicherstellung erfolgt ist, wer noch mit im Auto saß, ob es sich nun um „Waffen“ im Sinne des Versammlungsgesetzes handelt oder nicht, und woraus gefolgert werden kann, daß die inkriminierten Gegenstände Eigentum von K. und zum Bau von Molotowcocktails bestimmt waren, fehlen in den Akten. „Das Verfahren hätte von Anfang an gar nicht eröffnet werden dürfen“, folgert K.s Nürnberger Anwältin Ute Stöcklein. Trotzdem wird die Anklage zugelassen. Der erste Verhandlungstag am 7. Juni findet unter verschärften Sicherheitsvorkehrungen (Leibesvisitation und Einlaßkarten für die BesucherInnen) statt. Sämtlich Fragen, die auf den spekulativen Charakter der Anklagekonstruktion abzielen, werden von Staatsanwalt Heimgärtner und Richter Schmitz barsch als „Prozeßverzögerung“ zurückgewiesen.

Bei der Fortsetzung der Verhandlung am 4.OKtober schließlich taucht Heimgärtner plötzlich nicht mehr auf. Statt dessen plädiert Staatsanwalt Stange, Vorgänger von Heimgärtner in der politischen Abteilung, aufgrund der unhaltbaren Anklage sofort auf Freispruch. Richter Schmitz zeigt sich dabei als anpassungsfähig. Hatte er zuvor Heimgärtners harte Haltung in jedem Punkt mitgetragen, schließt er sich jetzt der neuen Linie von Stange an. „Das war ein voller Rückzug der Staatsanwaltschaft und kein Ausdruck der Unabhängigkeit des Gerichts“, kommentiert Anwältin Ute Stöcklein denn auch den Freispruch.

Zum Rückzug mußt Heimgärtner auch bei Marita S. aus Braunschweig blasen. Bei der Kontrolle am Göttinger Stadtrand wurden in ihrem Auto eine Wagenheberstange und ein Hammer beschlagnahmt; so war es auch auf ihrem Durchschlag des Sicherstellungsprotokolls vermerkt.

Heimgärtners Anklage basierte jedoch auf einem Protokoll, bei dem mit anderer Schrift zusätzlich zu den beiden Gegenständen noch „1 Stoffhaube und 2 Knieschützer“ aufgeführt waren. Ein entsprechendes Foto mit allen Gegenständen war den Akten ebenfalls beigefügt. Erst bei der Verhandlung Mitte Juli wird die Manipulation aufgedeckt. Es kommt zum Freispruch.

Der vorläufig letzte Prozeß in dieser Reihe — noch ist nicht bekannt, ob die Staatsanwaltschaft in Berufung gehen wird — endete am Freitag ebenfalls mit Freispruch. In dem Auto, das Andreas V. fuhr, wurden am 25.November sogenannte Schutzwaffen wie Helme und Knieschoner gefunden. Die Liste der sichergestellten Gegenstände umfaßt eine ganze DIN-A-4-Seite. Alle vier FahrzeuginsassInnen sind bis zum Ende der Demonstration in polizeilicher Vorbeugehaft genommen worden, da der Computer bei der Überprüfung der Personalien ein Vorstrafe ausgespuckt hatte, die die Beamten und später auch den Staatsanwalt Heimgärtner voreingenommen hatte: V. war 1977 im Zusammenhang mit der Ermordung des Berliner Kammergerichtspräsidenten Drenkmann zu zehn Jahren Jugendstrafe verurteilt worden. Grund genug für Heimgärtner, flugs alle im Kofferraum gefundenen Gegenstände V. zuzuordnen, obwohl dieser gar nicht Halter des Fahrzeugs war.

Zwei weitere im Auto mitfahrende Frauen wurden dagegen nicht belangt. Die vierte Mitfahrerin, Andrea B., wurde — und das ist der einzige „Erfolg“ Heimgärtners — wegen Besitzes eines im Handel zugänglichen Tränengassprays zu 180 D-Mark verurteilt.

Doch das Schöffengericht sah sich im Fall V. außerstande, der Logik Heimgärtners zu folgen. Es verneinte eine pauschale Haftung des Wagenlenkers für alle im Fahrzeug aufgefundenen Gegenstände. Im Laufe des Verfahrens kam ans Tageslicht, daß schon der anzeigeerstattende Beamte der Göttinger Kripo in den Akten vermerkt hatte, daß die Gegenstände „keiner Person zuzuordnen“ seien. Dennoch hatte Heimgärtner Anklage erhoben und auf eine empfindliche Geldstrafe von vierzig Tagessätzen à 20 D-Mark plädiert. „Die Anklage hätte mangels Masse überhaupt nicht zugelassen werden dürfen“, rügt V.s Anwalt Knut Pfeiffer aus Kassel Gericht und Anklagebehörde.

Pfeiffer hatte während des ganzen Verfahren vergeblich versuchte, Staatsanwalt Heimgärtner von dem Fall entbinden zu lassen, da dieser auch für die Einstellung der Verfahren gegen leitende Göttinger Polizeibeamte verantwortlich und daher ein objektives Ermittlungsverfahren von ihm nicht zu erwarten sei.

Im Innenausschuß des niedersächsischen Landtags hatte der Polizeieinsatz vom 17.November zu heftigen Kontroversen geführt. Der damalige Fraktionsvorsitzende der Grünen und heutige Minister für Bundesangelegenheiten, Jürgen Trittin, hatte die täglich wechselnden Polizeiversionen über den Einsatz als „rechtfertigende Verarschung der Öffentlichkeit“ bezeichnet und den Polizeieinsatz für den Tod von Conny Weßmann verantwortlich gemacht.

Davon will Heimgärtner nichts wissen. In seiner Einstellungsbegründung kommt er am 10.Juni zu dem Schluß, daß alles „rechtmäßig“ verlaufen sei. Gegenüber den Einsatzleitern könne kein Vorwurf der fahrlässigen Tötung erhoben werden. „Anders wäre es freilich, wenn die Anordnung oder die Durchführung des Versuchs der Personalienfeststellung pflichtwidrig gewesen wäre.“ Das sei aber nicht der Fall gewesen, da „die Annahme zumindest nahelag“, daß die Gruppe, in der sich die später Getötete befand, vorher in die Auseinandersetzung mit den Skinheads verwickelt gewesen war.

Plattmachen ist nur ein „flapsiger“ Ausdruck

Hatte Göttingens Schutzpolizeichef Lothar Will bereits einen Tag nach dem Tod von Conny Weßmann den Ausdruck „plattmachen“ als „flapsigen“ Ausdruck für die Anordnung einer Personalienfeststellung abgetan, übertrifft der eifrige Staatsanwalt noch diese Polizeiversion. „Die Formulierung wird darüber hinaus auch für das bloße Festhalten von Personen verwendet.“ Heimgärtner versucht gar, die Schuld an dem Unfall auf das „unerlaubte Mithören“ des Funkverkehrs abzuwälzen. Dies sei Anlaß für die Flucht und letztendlich den Tod der Studentin gewesen.

Was Heimgärtner als „zuverlässig sicheres Bild“ bezeichnet hat, veranlaßte den Göttinger Anwalt Jürgen Ahrens im Auftrag von Andrea Weßmann, der Schwester der Getöteten, Beschwerde gegen den Einstellungsbeschluß einzulegen. Aufgrund der Auswertung der Polizeiaussagen kommt Ahrens zu dem Schluß, daß bereits die Anordnung zur Personalienfeststellung der Gruppe, in der sich Conny Weßmann befand, rechtswidrig gewesen war. Man könne keinesfalls, wie die Polizei behauptet, davon ausgehen, daß diese Gruppe zuvor an einer gewalttätigen Auseinandersetzung mit Skinheads beteiligt war. Er wirft der Polizei vor, es unterlassen zu haben, an dem Ort der geplanten Personalienfeststellung, einer stark befahrenen Straße, irgendwelche Absperr- und Sicherungsmaßnahmen zum Beispiel durch Einschalten von Blaulicht zu ergreifen, um den Verkehr zu warnen. Zudem sei die Gruppe von der Polizei über längere Zeit „verfolgt, wenn nicht gar gejagt worden“, so daß vor dem geplanten Zugriff mit einem Weglaufen über die Straße zu rechnen gewesen wäre. Da „Cornelia Weßmanns Tod angesichts der konkreten Situation vermeidbar und vorhersehbar“ war, ergebe sich ein „hinreichender Tatverdacht bezüglich eines zumindest fahrlässigen Tötungsdelikts gegen die Beamten der Einsatzleitung“.

Bezüglich der Funkpassage „sollen wir sie jetzt plattmachen“ verweist der Göttinger Anwalt auf einen Ausschnitt aus dem Funkverkehr, der sich im Rahmen des Gladbecker Geiseldramas am 17.August 1988 zwischen 18.08 Uhr und 18.10 Uhr in Bremen-Huckelriede abgespielt hat. Genau zu diesem Zeitpunkt erwogen Beamte des „Mobilen Einsatzkommandos“ (MEK), den von den Geiselnehmern gekaperten Bus mit dem Ziel zu stürmen, Rößner und Degowski „unschädlich“ zu machen.

Um 18.10 Uhr heißt es über Funk: „Kann jetzt mal jemand definitives Wort sprechen, ob wir die jetzt endlich plattmachen sollen.“ Ahrens bezweifelt, „daß es das Ziel der MEK- Beamten in dieser Situation war, die Personalien der Herren Rößner und Degowski festzustellen“.

Für den 17.November, dem Jahrestag des Todes von Cornelia Weßmann, ist in Göttingen wieder eine bundesweite Demonstration geplant.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen