Die Frau als Citoyenne

■ Ein Beitrag zur Verfassungsdebatte aus feministischer Sicht DEBATTE

Können sich Frauen Demokratie aneignen, oder hat die Demokratie die Frauen geschluckt? Ist das Verhältnis von Frauen zur Demokratie eigenartig geprägt, ist sie ihnen fremd oder vertraut? Hier ist zunächst eine Verständigung vonnöten. Demokratie meint ja erst einmal eine Staatsform, mehr nicht. Demokratie hat ihren gedanklichen und teils auch tatsächlichen Ausgangspunkt in der griechischen Polis. (...) Die Polis, das war die Gemeinschaft der Gleichen, die streng von der anderen Gesellschaft, der des Hauses unterschieden war, jener Gesellschaft der Ungleichheit mit den Frauen, Kindern und Sklaven. (...) Frauen waren ausgeschlossen. Sie waren nicht Gleiche unter Gleichen. Sie waren Andere, die zum Haushalt der Männer gehörten.

Es dauerte mehr als ein Jahrtausend bis die Frau die Rechte des Citoyen erhielt. Das Wahlrecht für Frauen ist der Höhepunkt dieser Entwicklung in Deutschland, im Jahre 1919 also, als die Haushaltsvorstände mit ihrem politischen Latein am Ende waren. (...) Die Geschichte der Citoyenne hat nicht als Liebe zur Freiheit, sondern als Kampf für Gleichheit mit politischen Versagern begonnen. Forderungen nach Gleichheit haben das Wahlrecht durchgesetzt und erneut 1949 den Gleichberechtigungsartikel in das Grundgesetz eingeschrieben. Die Differenz der Geschlechter ist in der Formulierung der Grundrechte in der Verfassung nicht sichtbar. (...) Es ging nicht um die Freiheit der Frauen, sondern um die Beseitigung von politischen Privilegien. Der Gleichberechtigungsgrundsatz selbst ist zunehmend auf den Aspekt der Gleichheit reduziert worden, obwohl Gleichberechtigung ja mehr meint.

Für Frauen ist es an der Zeit, Liebe zur Freiheit zu entwickeln. Das ist ein Wagnis. Die Aufkündigung eines Paktes, wo es — trotz Lamento — Männer sind, über die Frauen Wert beziehen und wo Männer wissen, daß sie es sind, die Wert verleihen. Es ist an der Zeit, in die Verfassung Formen und Methoden einzuschreiben, die eine Prägung der Gesellschaft durch Weiblichkeit ermöglichen. Eine Verfassung schafft keine Wirklichkeit. Aber wenn es gelingt, die Frau als Citoyenne zu etablieren, die die Gesellschaft mit ihrem Mal kennzeichnet, so ist dies der Beginn einer neuen politischen Kultur. So würde ein Denken abgelöst, das, wie Luisa Muraro sagt, um „seine Einheit zu wahren kein weibliches Denken akzeptiert“. Dies hat zur Folge, das weibliche Erfahrung ohne angemessene Vermittlung in der Gesellschaft verbannt bleiben muß. Ohne eine Idee von der möglichen geistigen Entwicklung der Geschlechterdifferenz in den Formen der Politik, des Rechts und der Wissenschaft, bleibt sexistische Herrschaft wenn auch verdeckt, ungebrochen. Die Citoyenne als vom Mann Unterschiedene braucht daher Rechte, die ihr ermöglichen, sich als andere zu setzen. (...)

Ich schicke dies alles voraus, weil es in der Frauenbewegung teilweise Mißverständnisse oder auch Mißtrauen gegenüber diesen Voraussetzungen gibt. Der mühselige Kampf für mehr Gleichheit birgt die Gefahr, Demokratie mit Einheit zu verwechseln. Einheit suggeriert Gleichheit und umgekehrt. Letztlich ist Einheit eine Männermetapher, die historisch Verwüstungen angerichtet hat und heute demokratisch in Gestalt der Parteienlandschaft mit Langeweile das Land überzieht.

Eine Frauen- und eine Männerkammer

Demokratie will Machtzersplitterung, lauter kleine Republiken, wie Hannah Arendt formulierte. Also muß die Macht des Mannes zersplittert werden. Warum also soll die Macht, die nach dem Grundgesetz vom Volke ausgeübt werden soll (Art. 20 GG), nicht auch nach einer qualitativen, wesentlichen und quantitativ unproblematischen, weil gleichwertigen Differenz geteilt werden? Vorstellbar ist ein Zweikammersystem, eine Frauen- und eine Männerkammer, in der Geschlechter getrennt beraten und entscheiden. Es müßte natürlich auch etwas Gemeinsames geben, wo die Beschlüsse der Frauenkammer und der Frauenausschüsse mit den entsprechenden der Männer zusammengetragen würden. Ein Einigungsverfahren könnte Regeln festlegen, wie letztlich die Beschlußfassungen der Legislative Gültigkeit. Solche Verfahren bis auf die Ebene der Kommune durchbuchstabiert, würden jedenfalls der Form nach Frauen ermöglichen, ihre Sachkompetenz, ihren Wert und ihre Kultur entscheidungsrelevant sichtbar zu machen. Ist dies ein Rückfall in ein vordemokratisches Ober- und Unterhaus? Sicher nicht. Denn Frauen würden gewählt werden, ebenso wie Männer. Die gemeinsamen Gremien könnten wie bisher von beiden Geschlechtern durch Wahl bestellt werden. Ein entschiedenes Maß an Seperatismus für eine Übergangszeit oder für immer, das müßte sich herausstellen. Die Verfassung könnte den Versuch auf zehn Jahre befristen, Kommissionen einsetzen, Berichtspflichten regeln. Leidenschaftliche Debatten sind vorstellbar. (...)

Wider den Einheitsstrom

Die Einführung einer strikten Quote in die Verfassung bei der Besetzung der Parlamente, der Regierungen, der Führungspositionen der Parteien und der Gesellschaft anerkennt die Potenzen der Citoyenne als vom Citoyen unterschiedene. Eine Wahl, in der die Kandidatin sowohl bei ihrer Aufstellung, als auch beim Gewähltwerden ausschließlich vom Frauenvotum abhängig ist, würde das Verhältnis unter Frauen explosiv ändern. Frauen würden Wert von Frauen beziehen. (...)

Machtzersplitterung berührt auch die Ebenen des Staates, also das Verhältnis zwischen der Zentralgewalt und den Ländern und Kommunen. Es wird in den nächsten Jahren eine Föderalismusdebatte geben. Diese Debatte wird um Territorien gehen und den föderalen Gedanken nur unter dem Gesichtspunkt von gleich großen und gleich starken Ländern verhandeln. Die regionale Vielfalt, die kulturelle Verschiedenheit, die Nähe zu den Dingen macht aber den Charme der dezentralen Idee aus. Warum soll ein kleines Bundesland, eine „kleine Republik“, nicht den gleichen Stimmenwert im Bundesstaat haben, wie ein großes Territorium? Föderalismus wird heute durch den Moloch der politischen Parteien bedroht. Der Monopolismus der Parteien zerstückelt die vielen Meinungen, die Interessen von Regionen und Kommunen in den parteigemäßen Einheitsstrom. Es wird in dieser Verfassungsdebatte — der Zweite Staatsvertrag wünscht eine Neugliederung der Länder — für Frauen darum gehen, die regionalen und örtlichen Gesichtspunkte zu stärken. (...)

Mein Vorschlag vagabundiert gegen die Vorstellung, die Freiheit der Frauen sei am besten durch Gleichheit mit den Männern gesichert und, falls diese Gleichheitsvorstellung nicht durchzusetzen ist, durch eine Garantie der verfolgten Inhalte. Die Forderung nach staatlicher Durchsetzung der sachlichen Themen ist weitverbreitet. Deshalb darf eine Verfassungsdebatte von Frauen, ist sie ernsthaft gemeint, solche Affinitäten zum Staat nicht tabuisieren, sondern muß sie zum Thema machen.

Die von mir beschriebene Denkrichtung setzt dagegen auf gesicherte eigene Formen der Meinungs- und Willensbildung und Entscheidung von Frauen. Sie wirkt entstaatlichend und hat institutionelle Konsequenzen für das Parteienmonopol, wie es heute durch Männer okkupiert wird. Das Insistieren auf Verfahren sichert Strukturen und ermöglicht Ergebnisse, es schreibt sie aber nicht vor. Allemal bleibt das Anliegen von Gleichheit der Menschen, Differenz der Geschlechter und Freiheit und Gebundenheit der Individuen ein Vermittlungsproblem. Vermittelt werden kann es über die Menschen- und BürgerInnenrechte und Verfahren in getrennten Formen. Möglichst große Annäherung ist das Ziel dieser Suche nach Vermittlung. Birgit Laubach

Der Beitrag ist die leicht gekürzte Fassung eines Vortrags auf dem Verfassungskongreß der Frauen in der Frankfurter Paulskirche. Die Autorin ist Rechtsanwältin, Mitautorin des Antidiskriminierungsgesetzes der Grünen und Mitarbeiterin der Grünen-Bundestagsfraktion.