piwik no script img

Nebelwerfer gegen Behörden-Glasnost

Erstmals in Deutschland soll in Berlin ein weitreichendes Einsichtsrecht in Behördenakten und -vorgänge eingeführt werden/ Doch dieses Gesetz droht am vorgezogenen Wahltermin zu scheitern/ CDU spielt auf Zeit, SPD schielt auf große Koalition  ■ Aus Berlin Vera Gaserow

Es sollte eine bundesweite Premiere werden, aber jetzt scheint die Uraufführung kurz vor der Generalprobe geplatzt „aus Terminschwierigkeiten“, wie es offiziell heißt. „Wegen Desinteresse einiger Akteure“ würde wohl die ehrlichere Antwort lauten. Zur Uraufführung stand auf dem Plan des Berliner Abgeordnetenhauses das Stück „Behördenglasnost“. Nach Vorbild des amerikanischen „freedom of information act“ wollte die Rot-Grün—Koalition ein „Informationsfreiheitsgesetz“ (abgekürzt IFG) einführen.

Otto Normalverbraucher oder Lieschen Müller, die Bürgerinitiative XY oder der Häuschenbauer Z., der Kläger gegen eine geplante Straßenerweiterung oder der Nachbar einer Chemieklitsche, die Sozialhilfeempfängerin, die sich ungerecht behandelt glaubt oder Mieter, die gegen Wohnugnsleerstand kämpfen — sie alle sollen nach dem Willen dieses Gesetzes ein umfassendes Einsichtsrecht in behördliches Wissen und Handeln erhalten. Ämter, Behörden und Verwaltungsgerichte, so lautet der Grundtenor des IFG, müssen sich — unter gewissen datenschutzrechtlichen Beschränkungen — von jedem Bürger in die Akten schauen lassen. Ein Stück Transparenz oder wie es im IFG heißt: „Zweck dieses Gesetzes ist es, durch ein umfassendes Informationsrecht das in Akten festgehaltene Wissen und Handeln öffentlicher Stellen [...] der Allgemeinheit zugänglich zu machen, um [...] die demokratische Meinungs- und Willensbildung zu fördern und eine Kontrolle des staatlichen Handelns zu ermöglichen. Doch nun droht diese bisher in Deutschland einmalige Gesetzesinitiative kurz vor dem Ziel auf der Strecke zu bleiben. Denn um das von AL und SPD eingebrachte Gesetz noch vor den vorgezogenen Wahlen am 2. Dezember über die parlamentarische Hürde zu hieven, müßte das Berliner Abgeordnetenhaus spätestens auf seiner Sitzung am 24.Oktober zustimmen. Die parlamentarischen Mehrheiten von AL und SPD wären zwar da, nur müßte zuvor noch diese Woche eine Sondersitzung des Innenausschusses einberufen werden. Und da stellt die CDU sich quer und die SPD mag ohne die Christdemokraten, die wahrscheinlichen Koalitionspartner von morgen, nichts entscheiden. Offizielles Argument: Es herrsche noch Beratunsbedarf. Doch allen Seiten ist klar: Wenn das Gesetz nächste Woche die Gremien nicht passiert, wird es nach den Wahlen unter neuen politischen Vorzeichen endgültig in der Schublade verschwinden.

Dabei hatten die Berliner Abgeordneten beileibe genug Zeit gehabt, ihren vielbeschworenen „Beratungsbedarf“ zu befriedigen, denn die Geschichte des IFG ist beinah genau so alt wie die der rot-grünen Koalition, die sich ein solches Akteneinsichtsrecht auf die Fahnen geschrieben hatte. Im Juni 1989 brachte die AL einen ersten Gesetzentwurf in den parlamentarischen Geschäftsgang. Es folgten eine ganze Serie von Expertenanhörungen, gemeinsamen Überarbeitungen mit dem Koalitionspartner SPD, Beratungen im Innenausschuß, Gutachten von Datenschützern und erneute Hearings, zu denen ausdrücklich auch immer die Parlamentarier der CDU eingeladen wurden. Diesen Juni war man dann so weit: ein beschlußfähiger Gesetzentwurf wurde in die parlamentarischen Ausschüsse eingebracht — ein Kompromiß zweifellos, aber weitreichender als bisherige Entwürfe und ein Novum in Deutschland.

Auf eine Kurzformel gebracht, regeln die 21 Paragraphen des IFG folgendes: Grundsätzlich müssen Ämter, Behörden und Verwaltungsgerichte Auskunftsuchenden Einblick in Aktenvorgänge und behördliches Wissen gewähren. Sie müssen BürgerInnen bei der Einsichtnahme sogar personelle und technische Hilfe leisten, so z.B. Gerätschaften zum Kopieren von Verwaltungsunterlagen zur Verfügung stellen. Begrenzt wird dieses „Prinzip Glasnost“ nur duch einige datenschutzrechtliche Ausnahmeregelungen. Dort etwa, wo personenbezogene Daten auftauchen, muß der Betroffene vorher seine Einwilligung zur Offenlegung der Akten geben oder aber die Akten werden entsprechend geschwärzt. Auch Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse eines Unternehmens sollen vor einer Offenlegung geschützt sein, es sei denn, es gibt Anhaltspunkte für eine Straftat oder für eine Umwelt- und Gesundheitsgefährdung durch das Unternehmen. Auch die Verwaltung selbst hat sich Ausnahmeregelungen ausbedungen, unter denen sie ihre Akten nicht offenlegen will, etwa wenn das Bekanntwerden des Akteninhalts „dem Wohle des Bundes oder eines deutschen Landes schwerwiegende Nachteile bereiten“ würde. Im Grundsatz jedoch gilt das Offenlegungsprinzip.

Aber die öffentlich bediensteten Entscheidungsträger und -vollstrecker können aufatmen — die Realisierungschancen dieses Gesetzes sind gen Null gesunken. Denn die SPD, die den Entwurf selbst miteingebracht hat, will ihn nun nicht mehr gegen den Willen der CDU durchsetzen. Bei einem so wichtigen Gesetz brauche man eben „breite parlamentarische Mehrheiten“, argumentiert der Vorsitzende des Innenausschusses des Berliner Abgeordnetenhauses, Helmut Hildebrandt (SPD). Am „Durchpeitschen des Gesetzes“ habe die SPD kein Interesse. Und ganz plötzlich will es der SPD auch gedämmert haben, daß das von ihr selbst getragene Gesetz beträchtliche Personal- und Kopierkosten zur Folge hätte. Sprich, es kostet Geld, und das sei angesichts der Kosten der deutsch-deutschen Einheit wohl kaum zu kriegen. Also: „Willkommen Deutschland, Glasnost ade!“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen