: Ostmann bekehrt?
■ betr.: Serie "Grenzverkehr", taz vom 19./20./21.90
betr.: Serie »Grenzverkehr«,
taz vom 19./20./21.9.90
Nun gänzlich überzeugt, daß für die Bewohner der ehemaligen DDR künftig wirklich alles anders werden müsse, um denn auch in der linksalternativen Szene Großdeutschlands bestehen zu können, die Makel der marxistisch-senilistischen Minderheit schnellstens loszuwerden, um damit der völligen politischen und kulturellen Verelendung vorzubeugen, hat mich die taz-Serie.
Ich bin dankbar! Dankbar der taz-Redaktion und den Autoren, die (wie besonders Ute Scheub) mich endlich auf eines der wesentlichsten Probleme für ein reibungsloses, ästhetisch erträgliches Zusammenwachsen aufmerksam machten.
»Wir sind das Volk!« — das ging ja noch an, da waren Exoten am Werk. Aber »Wir sind ein Volk!« — da liefen nicht nur den grauselig vollbärtigen Ost-Oppositionellen, sondern auch den West-Frauen die ersten Schauer über ihre fetten beziehungsweise zarten Rücken.
Glücklicherweise ist ja nun die Kolonialisierung der unterentwickelten ehemaligen Ost-Republik parlamentarisch-demokratisch besiegelt. Nur läßt der Einigungsvertrag ganz besonders die klaren, verbindlichen und doch so notwendigen Regelungen vermissen, die uns eine schnelle Anpassung von Ost-Frau an West-Frau, Ost- Mann an West-Mann (Ost-Frau an West-Mann und so weiter und so fort) zusichern könnten. Hier besteht dringender Handlungsbedarf Ost. Wie denn auch sollten sonst die übrigen offenen gemeinsamen Fragen mit dem nötigen Ernst diskutiert und gelöst werden?
Gehen wir es also schnell an: Keine ostoppositionellen Zottelhaare mehr in der alternativen Gemeinschaftssuppe! Bald abspecken und dann der Intensivkursus zum Training linker Sprach(hülsen)regelungen! Schon morgen den ersten Ohrring und endlich ein passendes Eau de Toilette... Doch wie bekommt man den nötigen knackigen Arsch? Den nötigen federnden Gang?
Hier muß ein Bekenntnis folgen, ein Eingeständnis unvermuteter Schuld: Alle Grenz-Verkehr-Beobachtungen zum Ost-Mann treffen auch auf mich zu: Meine Restpotenz klappert in den drei Kolben meines Zweitaktmotors, das typische »na, Mäuschen« flüstere ich den Fahrradblondinen zwar nur in Gedanken zu, betrachte dabei aber völlig hemmungslos ihre Hintern. So richtig zu schlendern/schlappen/lümmeln wage ich nicht einmal abends zu Hause — ich kann das ja auch noch nicht. Nein, ich stelle auch hier wieder meine bäuchig/bärtige Häßlichkeit zur Schau, zumal meine arme Ost-Mutti das ja gar nicht sieht: Ihr lethargischer Blick geht ins Leere — wahrscheinlich denkt sie einfach nur an Deli, Datsche und unsere drei Kinder.
Aber wir alle reden miteinander: Mann, Frau, Kinder und die anderen oppositionellen Rauschebärte, die auch ohne telefonische Voranmeldung kommen, die Schnauzer und Wampen von nebenan... Wir haben gemeinsame Themen und suchen die gemeinsame Sprache — immer wieder, auch wenn's klemmt! Albrecht Henkys, Ost-(Rand-)Berlin
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