: Sterben müssen wir alle
■ Tod und Teufel in der britischen Zigarettenreklame
Ein Ratespiel in drei Bildern: Bild eins: ein Friseurstuhl, Modell „Fünfziger Jahre“. Neben dem Stuhl posiert ein gerade geschorener Pudel. Eine violette Seidenschleife schmückt seinen Pony.
Bild zwei: ein Badezimmer, Modell Hitchcock. Ein Duschvorhang aus violetter Seide zieht sich durch das Bild. Der Duschkopf zeichnet sich als Schattenriß auf dem Vorhang ab. Das Wasser strömt, niemand aber duscht sich. Bild drei: Über die Doppelseite des Hochglanzmagazins zieht sich Stacheldraht. Die Dornenkränze werden aber niemanden verletzen: Der Draht ist aus violetter Seide gewoben. Der frisierte Pudel, die Hitchcock-Dusche und der seidene Stacheldraht sind Teil einer Werbekampagne, die den britischen Zeitschriftenleser mit ständig neuen Ratebildern verblüfft. Das Außergewöhnliche der Bilderserie: Kein Name, kein Emblem, kein Markenzeichen verrät das Produkt. Erst ein Blick an den unteren Bildrand gibt dem verwirrten Leser einen präziseren Hinweis auf das von ihm zu begehrende und letztendlich käuflich zu erwerbende Objekt: Rauchen, so warnt eine Inschrift unter Berufung auf das Gesundheitsministerium, könne zu Herzleiden führen.
Was auf den ersten Blick wie ein mißlungener Aufruf zum Schutz duschender Seidenraupen aussieht, entpuppt sich nach einigen semiotischen Saltos als Zigarettenreklame. Seide heißt auf englisch „silk“. Der Frisör und die Anspielung auf Hitchcocks Psycho-Mörder stehen für das Wort „cut“. Des Rätsels Lösung lautet also „Silk Cut“ — und das ist der Markenname einer englischen Zigarette für den milden Genuß.
Die Werbebrüder Saatchi and Saatchi haben für ihren Klienten ein Image entworfen, das den üblichen Werbestrategien vollkommen zuwiderläuft. Kein Beamtentarzan, kein nickelbrillenbewehrter Gerneraucher und auch kein staubbedeckter Kuhhirte überbringt die Botschaft „Kaufe mich“, sondern ausgerechnet des Rauchers ärgster Feind, der Tod in seinen verschiedenen Spielarten vom Lungenkrebs bis zur Herzattacke, begibt sich auf Kundenfang. Nicht Sex, Freiheit und Abenteuer erwarten den hoffnungsfrohen Teer- und Kondensatkunden, sondern psychotische Bauchaufschlitzer à la Jack the Ripper wetzen die Klingen zum finalen Leichenschmaus.
Mit der morbiden „Silk Cut“- Kampagne erreicht eine Werbewelle ihren Höhepunkt, die 1977 von „Benson & Hedges“ eingeleitet wurde. Damals postierten die Reklamestrategen die goldene Zigarettenschachtel in surrealistischer Manier vor einer roten Wand mit Mauseloch. Zwar wußte niemand, was das sollte, die Marktanteile jedoch stiegen mit sofortiger Wirkung. Die Kehrtwende vom Lifestyle-Idyll des ewig-modernen Rauchers zum surrealistischen Todesmanifest hat konkrete Hintergrünhde: Seit Mitte der siebziger Jahre hat sich die britische Tabakindustrie in mehreren „freiwilligen“ Abkommen zur ästhetischen Selbstbeschränkung verpflichtet. Diese Grundsätze des sauberen Werbens — unterzeichnet, um restriktiveren Maßnahmen zu entgehen — verbieten unter anderem, Raucher als Helden zu stilisieren. Der Abenteurer mußte also abdanken, und auch der Genießer verabschiedete sich von den Plakatwänden und den Magazinseiten: Eine direkte Verbindung zwischen Rauchen und „Genuß“ darf nach dem neuen Regelwerk nicht mehr hergestellt werden. Konkret heißt das: Grinsende, lächelnde, träumende oder verklärt in sich gekehrte Nikotinfreunde dürfen nicht mehr auftauchen.
Anstatt mit Kompromißlösungen auf diese Richtlinien zu reagieren, entschließen sich einige Zigarettenhersteller zur radikalen Kursänderung. Anstatt mit mehr oder weniger unterschwelligen Assoziationen das Produkt mit einem erstrebenswerten Lebensstil zu identifizieren, verkauft das Werbeposter nun seinen eigenen ästhetischen Wert. Das Produkt wird am Einfallsreichtum seiner Reklamedesigner gemessen.
Die „Silk Cut“-Kampagne richtet sich an einen willigen Komplizen, der mit den konventionellen Überredungskünsten nicht mehr zu ködern ist. Das Modell vom unbedarften, dem vermeintlich subtilen Werbesymbolismus hilflos ausgesetzten Konsumenten hat ausgedient. Nicht mehr das naive Opfer, sondern der emanzipierte Mittäter ist gefragt. Während die traditionellen Identifizierungsmuster den Kunden als visuellen Analphabeten behandeln, gehen die „Silk Cut“-Propagandisten von einem Käufer aus, der des Bilderlesens mächtig ist.
Die Annahme: Die Werbebotschaft wird als eben solche gelesen, das Überreden wird unmittelbar als „zum-Kaufen-Überreden“ eingeordnet. Das Wissen um die Absicht und das Durchschauen der Strategie neutralisieren aber die erwünschte Wirkung — nur noch unverblümte Offenheit kann die verlorene Allianz mit dem Kunden wiederherstellen.
Kein Cowboy sagt mehr: Rauchen Sie meine Marke, und auch Sie kriegen eine schöne Frau. Die Botschaft lautet nun: Wir wissen sehr wohl, daß Sie mittlerweile all unsere Tricks kennen. Wir haben uns deshalb entschlossen, von nun an ehrlich zu sein: Wir verkaufen Ihnen nicht mehr Jugend, Reichtum und Schönheit, wir verkaufen Ihnen unsere Werbung. Wenn Ihnen also die Idee mit dem Pudel und der Dusche gefällt, dann rauchen Sie doch bitte Silk Cut. Und etwas leiser folgt: Daß Rauchen ungesund ist, wissen Sie ja sowieso. Das steht ja auch unten am Bildrand, falls Sie da schon gar nicht mehr hinschauen. Sterben aber tun wir doch alle mal.
Der Erfolg der „Silk Cut“-Werbung hat mittlerweile auch in von Selbstbeschränkungsabkommen verschont gebliebenen Branchen Schule gemacht. Eine britische Bank formuliert diesen neuen Ansatz vollkommen unmißverständlich. „Wieso bringst du dein Geld denn zur First Direct“, fragt eine ältere Dame ihre Begleiterin — „wegen der Zinsen?“ Die Antwort kurz und bündig: „Nee, wegen der Werbung.“ Thomas Langhoff
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