: Die „lebende Leiche“ schielt wieder nach Osten
Treuhand macht I.G. Farben „in Abwicklung“ Hoffnung auf Entschädigung ■ Von Klaus-Peter Klingelschmitt
Frankfurt (taz) — Die seit 1952 als Verwalterin des Restvermögens der IG Farben fungierende IG Farben „in Auflösung“ (i.A.) hat beim Liegenschaftsamt Merseburg Ansprüche auf 1945 enteignete Anlagen und Grundstücke der ostdeutschen Chemiewerke Leuna und Buna angemeldet. Sie kann sich Hoffnungen machen: Die vermögensrechtlichen Ansprüche könnten nach Auskunft von Wolfgang Nautsch aus der Direktion Recht der Treuhand durchaus Rechtens sein. Zwar werden im Einigungsvertrag Ansprüche wegen Enteignungen bis 1949 ausgesprochen zurückhaltend bewertet, da die Sowjets aber keinen großen Wert auf Eintragungen im Grundbuch legten, sind unter Umständen viele de facto vollzogenen Enteignungen erst nach 1949 registriert. Die I.G. Farben i.A. sammelt jetzt Nachweise.
Sie will den Gegenwert von 884 Millionen Reichsmark wiederhaben, die von der IG Farben in den 30er Jahren unter anderem in die Chemiewerke an der Saale investiert worden waren. Die beiden größen chemischen Anlagen auf dem Gebiet der Ex-DDR waren 1949 in „Volkseigentum“ überführt worden.
Daß die „lebende Leiche“ IG Farben i.A. wieder gen Osten reitet, ist ein Affront gegen die von den Allierten nach Kriegsende erlassene Auflagenverordnung für den als „Liquidator“ konzipierten Rechtsnachfolger der IG Farben. Zwar wurde der IG Farben i.A. das Restvermögen des alten Kartells zugesprochen, doch damit sollten nur „alle begründeten Forderungen“ an das Unternehmen erfüllt und Schadenersatzleistungen an die durch die Aktivitäten des Kartells geschädigten Personengruppen erbracht werden. Tatsächlich schüttete die IG Farben i.A. in den 50er Jahren ganze 30 Millionen DM an einen Zusammenschluß jüdischer Vereinigungen aus — als „Wiedergutmachung“ für Millionen von toten Juden, die mit dem IG Farben- Produkt „Zyklon B“ in den Gaskammern der Nazis ermordert wurden. Um die Ansprüche der zur Zwangsarbeit in den kriegswichtigen Werken der IG Farben gepreßten Menschen zurückweisen zu können, deklarierte die IG Farben die Zahlung allerdings als „einmaligen Akt“.
Trotz des alliierten Verbots auf Tätigung anderer Geschäfte und der Anordnung, die IG Farben i.A. nach der Abwicklung aller Forderungen und Verbindlichkeiten umgehend aufzulösen, entwicklete sich die „Liquidationsfirma“ klammheimlich zu einer Holdinggesellschaft, deren Aktienkapital sich mehrheitlich im Besitz einer potenten Wertpapiervereinigung um den Bremerhavener Wirtschaftskapitän Friedrich Dieckel befindet. Das Kapital der IG Farben i.A. steckt in diversen Beteiligungen an Elektro-, Chemie- und Bankenkonzernen. Dennoch hieß es in den Geschäftsberichten der Firma immer wieder, daß das eigentliche Unternehmensziel der IG Farben i.A. die Liquidation sei — und deshalb wurden Dividenden an die Aktionäre nur höchst selten ausgeschüttet. Als die IG Farben i.A. Ende 1989 die wichtigste Tochtergesellschaft des Unternehmens, die Ammoniakwerke Merseburg mit Sitz in Frankfurt/Main, an die Hamburger Wünsch-Gruppe verkaufte, wurde in Börsenkreisen denn auch heftig über etwa bestehende endgültige Liquidationsabsichten spekuliert. Dazu kam, daß die IG Farben i.A. in Frankfurt vor dem Oberlandgericht im Vorjahr einen Prozeß um die Rückführung des in den USA beschlagnahmten Vermögens der IG Farben verloren hatte.
Daß die IG Farben i.A. jetzt an das Ostvermögen des alten Kartells der Firmen Bayer, Hoechst, BASF und Casella heran will, ist dagegen Beleg dafür, daß das alte Imperium gedenkt, noch lange durch die deutsche Geschichte zu „spuken“. In Frankfurt jedenfalls schnellte der Kurs der IG Farben i.A.-Aktien seit dem Wochenende um 13 Prozent in die Höhe. Und falls sich die angemeldeten Ansprüche auf die Anlagen und Gründstücke im Osten tatsächlich in klingende Münzen umsetzten lassen, prognostizieren Börsianer eine Verdreifachung des Kurswertes.
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