Die totale Ritualisierung

■ Gangsterfilm als Ritual: Abel Ferraras „King of New York“

Ein Mord in der Telefonzelle. Das Opfer ist längst tot, doch die Killer schießen weiter, das restliche Glas der Zelle ist tiefrot. Ein Koffer voll Geld wechselt den Besitzer. Von Drogenhändler zu Drogenhändler.

Die Gang besucht ihren aus dem Gefängnis entlassenen Boß Frank White. Ungefähr zehn Schwarze kommen in das Hotelzimmer, schwärmen aus und bewegen sich dabei, als hätten sie einen Ghettoblaster auf der Schulter. Schwarzes Ritual. Schweigen. Schließlich nur ein lakonischer Spruch, ein „Gut, daß du zurück bist“, das Präsentieren der Beute. Kurze Sätze, kein Wort zuviel.

Showdown. Der letzte Cop stirbt. Das epileptische Zucken dauert fast eine Minute — Sterben als Arbeit. Oberbösewicht White dagegen läuft noch fast zehn Minuten angeschossen übers Zelluloid, bis er schließlich stirbt, in einem Taxi, umstellt von Hunderten von Polizisten, lakonisch und belanglos. Als wäre er nur eingeschlafen.

In King of New York verlieren Menschen nicht einfach ihr Leben. Hier sterben Menschen sehr bewußt und ausführlich. Schließlich ist es das letzte, was sie tun.

Was diesen Film ausmacht, ist nicht die Story, sondern die Übersteigerung der vorgegebenen Rituale des Gangsterfilms. Das Verhalten der befreundeten und sich bekriegenden Gangster untereinander und zu den Cops und das Verhältnis der Cops zueinander. Es kommt nicht darauf an, was gesagt wird, sondern wie. Es kommt auf das Mienenspiel an. Nicht der mit den besseren Argumenten oder der größeren Knarre hat recht, sondern der mit der größeren Coolness.

King of New York macht aus der ursprünglichen, der amerikanischen Variante des Genres Gangsterfilm (im Gegensatz zur französischen Tradition in der Nachfolge Melvilles) das, was die Italowestern in den 70ern mit dem Genre Western veranstaltet haben. Er überzeichnet die Rituale und reizt die immanenten Gestaltungsmöglichkeiten des Formenrepertoires bis zur Groteske aus. Christopher Walken hat zwei Leibwächterinnen, eine schwarz, eine weiß, und vögelt mit seiner Anwältin in der U-Bahn. Die Cops heiraten gutbürgerlich und irisch-fröhlich (die irische Tradition der New Yorker Polizei hat eine lange Filmgeschichte). Wenn die Autos bei den Verfolgungsjagden quer durch das (natürlich) nächtliche und (natürlich) regnerische New York hetzen, dann ist die Nacht so richtig tiefblau und es pladdert auch richtig vom Himmel, und wenn Kokain genommen wird, dann nicht die normale Line, sondern gleich ein ganzer, großer, weißer Haufen.

Der Film hebt die Unterschiede zwischen den sich bekämpfenden Parteien — den Cops und den Gangstern — auf. Was bleibt, sind die Ettiketten „Polizist“ und „Gangster“, die Methoden sind dieselben, die Motive wechseln die Reihen. Auf der einen Seite bewahrt der Bandenboß ein Kinderkrankenhaus nicht deswegen vor dem Bankrott, weil er sich eine gutbürgerliche Fassade geben will, sondern weil er sich als Kämpfer gegen das Unrecht versteht, der selbst nur Abschaum umbringt und umbringen läßt. Auf der anderen Seite führen die Cops den Kampf gegen das nicht mehr klar zu definierende Böse mit denselben brutalen und illegalen Mitteln, wie die Drogenbosse untereinander.

Die Überstilisierung der Rituale findet ihre konsequente Fortsetzung in der visuellen Umsetzung, vor allem im Spiel mit den Farben. Szenen im Bordell oder auf den Drogen- und Sexorgien der Gangster sind in ein unwirkliches Rot getaucht, während die Kneipe, in der sich die Cops einen ansaufen, in satten Erdfarben erscheint. Der Tod, das Sterben ist blau und melancholisch. Farben, die es so nicht gibt. Und seit Jahren hat es kein amerikanischer Kameramann mehr gewagt, so ausführlich nächtlich funkelnde New Yorker Skyline zu zeigen.

King of New York hat auch noch eine andere Eigenschaft mit dem Großteil der Italowestern gemein. Er macht durch die groteske Ritualisierung die Mechanismen des Genres deutlich und trägt mit dieser Übermystifizierung zu dessen Entmystifizierung bei (also genau das Gegenteil des Effekts von Filmen wie Der eiskalte Engel von Melville). Allerdings erreicht der Film dadurch eine Absurdität, die ihn streckenweise ins Peinliche abdriften läßt. Thomas Winkler

„King of New York“ von Abel Ferrara; USA 1990; 102min. Mit Christopher Walken, David Caruso, Larry Fishburne u.a.