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Chaos in ostdeutschen Finanzämtern

Dennoch Zuversicht bei den Sozialpolitikern beim 100. Jubiläum der gesetzlichen Rentenversicherung/ Notfalls springt der Staat ein/ Altersarmut weiterhin kein Thema  ■ Von Martin Kempe

Berlin (taz) — Bundesarbeitsminister Blüm will die Renten in den Ländern der ehemaligen DDR zum 1. Januar um 15% erhöhen, aber in den Rentenversicherungsanstalten Ostdeutschlands herrscht noch das Finanzchaos. Denn weder die Finanzämter noch die Personalabteilungen in den meisten Betrieben kennen sich mit dem komplizierten Einzugsverfahren der Sozialversicherungsbeiträge aus. Bei der Festveranstaltung des Verbandes der Rentenversicherungsträger zum 100. Gründungsjubiläum der Rentenversicherung in Deutschland versuchte Blüm gestern dennoch Zuversicht zu verbreiten: „Kein Rentner in Ost und West braucht zu befürchten, daß seine Rentenzusage nicht gehalten wird. Der Staat garantiert sie und notfalls muß er einspringen“, versicherte der Minister während der Festveranstaltung im Berliner Reichstag.

Einen Tag zuvor hatte der Vorstandsvorsitzende des Verbandes Deutscher Rentversicherungsträger, Werner Doetsch, aus dem Nähkästchen geplaudert. Viele Firmen in den Ländern Ostdeutschlands sind von den Finanzämtern noch gar nicht erfaßt. Mit der täglichen Vergabe von Steuernummern als Voraussetzung für eine ordnungsgemäße Abführung von Steuern und Beiträgen klappt es vielfach noch nicht. Betriebe, die keine Sozialversicherungsbeiträge entrichten, werden von den Finanzämtern nicht einmal erkannt und von Mahnverfahren bei Beitragsrückständen haben die Finanzbeamten auch noch nichts gehört. Beiträge von mehr als 70 Millionen sind im Sommer nachweislich zunächst nicht in den richtigen Kassen gelandet und wurden vom Staat erst viel zu spät an die Sozialversicherungen weitergeleitet, die Dunkelziffer nicht eingerechnet.

Aber diese Schwierigkeiten, davon gehen die Sozialversicherer aus, sind vorübergehend. Mit viel Schulung für das neu einzustellende Personal und verstärkter Beiträgsüberwachung will man erreichen, daß die Angleichung der Rentensysteme zwischen Ost und West wie versprochen bis zum 1. Januar 1992 geschafft werden kann. So lange allerdings wird es noch unterschiedliche Rentenversicherungen in Ost und West geben. Die Zuversicht des Ministers und der Sozialpolitiker beruht auch auf dem beruhigenden Polster, das die Rentenversicherung in den letzten Jahren Dank Hochkonjunktur aufbauen konnte: über 42 Milliarden Mark, das sind rund drei Monatsausgaben, sollen sich bis Ende 1991 angesammelt haben, meinte Doetsch.

Während der Festveranstaltung wurde von allen Rednern das Lob des deutschen Systems der Alterssicherung in den höchsten Tönen gesungen. Und auch die seit Anfang an in diesem System angelegte und immer noch bestehende Altersarmut, vor allem von alleinstehenden Frauen mit fehlender oder diskontinuierlicher „Erwerbsbiographie“, war den Festrednern kaum der Rede wert.

Einhellig wurde noch einmal die große Koalition der Sozialpolitiker von CDU/CSU, FDP und SPD gefeiert, die bei der Rentenreform im letzten Jahr noch einmal ausdrücklich an der Beitragsbezogenheit des Rentenversicherungssystems festgehalten und die Diskussion um eine Mindestrente für alle fürs erste beendet haben. So soll es jetzt auch in den neu hinzugekommenen Ländern werden, auch wenn die Bezüge von einem Drittel der RentnerInnen Ostdeutschlands unter Sozialhilfeniveau liegen. Da sind die zum 1. Januar 1991 von Blüm versprochenen 15% relativ gesehen ein echter Hit, auch wenn es — gemessen an den in den letzten Monaten ausgehandelten Lohnsteigerungen — eigentlich 25% sein müßten. Aber das westdeutsche Rentensystem mit seiner automatischen Nettolohnanpassung gilt ja in weiser Voraussicht streng genommen erst ein Jahr später.

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