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Der »Penisneid« und die »Verhältnisse«

■ Heute spricht Jessica Benjamin im Amerikahaus über »Das Begehren der Frauen«

Was den Reiz von Unterwerfung und Herrschaft ausmacht und warum sie im erotischen Leben eine so große Rolle spielen, hat die New Yorker Psychoanalytikerin Jessica Benjamin untersucht. Ihre Antwort auf die Frage, was denn die Fesseln der Liebe seien — so der Titel ihres soeben auf deutsch erschienen Buches — denkt Psychoanalyse, Gesellschaftstheorie und Feminismus zusammen. Heute abend stellt Benjamin im Amerikahaus auf Einladungen der Philosophinnen der FU, des Inistituts für Politikwissenschaft an der TU und der Zentraleinrichtung Frauenforschung der FU dieses Buch mit einem Vortrag zum Thema Das Begehren der Frauen vor.

Jessica Benjamin plaziert ihren Neuansatz zum Problem der (männlichen) Macht neben den Denktabus des klassischen Freudianismus und des dogmatischen Feminismus. Freud glaubte an die Heilbarkeit des Individuums. Die Verhältnisse interessierten ihn nicht. Macht und Ohnmacht, Herrschaft und Unterordnung — in das Schicksal autoritärer Ordnung sich zu fügen, lernt das Kind, wenn es im Ödipusdrama steckt. Es begegnet kleinen Unterschieden und großen Differenzen; zwischen den Geschlechtern und den Generationen. Das zu begreifen und zu akzeptieren ist die Voraussetzung für die Entwicklung eines zivilisierten Individuums, das die Welt mit seinen Trieben nicht unsicher macht, sondern stabilisiert.

Als Beispiel dafür, wie sich die Leiden der Unterwerfung in Freuden verwandeln können, steht bei Freud die These vom angeborenen weiblichen Masochismus. Dem gegenüber setzt der Feminismus die These von der ausschließlich gesellschaftlichen Bedingtheit weiblicher Unterwerfungslust. Benjamin wiederum bestreitet, daß die Attraktivität, die Unterwerfung anscheinend ausübt, lediglich eine Art eingebildete Krankheit ist, die in einem besseren Sozialklima sofort verschwände. Und sie widerspricht Freud hinsichtlich der Unabänderlichkeit, gleichsam der »Natürlichkeit« der Machtverhältnisse und der Machtverteilung.

Freuds Hauptfehler sei, so Benjamin, daß er sich für das Kind im Menschen erst dann ernsthaft zu interessieren beginnt, wenn es reif ist für den Ödipuskomplex. Wie die Dinge zwischen Mann und Frau aber später laufen, werde schon früher, im präödipalen Alter, entschieden. Der begehrenden Liebe der Tochter zum Vater gehe eine identifizierende voraus. Das Mädchen will nicht haben, was die Biologie ihm verwehrt — den Penis —, sondern es will sein wie der Vater: ungebunden, unterwegs und deutlich in seinen Wünschen an die Mutter. Der Traummann, dem das Mädchen später als erwachsene Frau verfällt, wäre es gern selbst. Da es sich zwischen mütterlichem und väterlichem Vorbild schon allzufrüh entscheiden mußte, bleibt dem erwachsen gewordenen Mädchen aber nichts anderes übrig, als den Mann zu idealisieren. Das ist, nach Benjamins Konzept, die mildeste Form des Masochismus. Ursula März

Jessica Benjamin heute um 18 Uhr im Amerikahaus in der Hardenbergstraße, Berlin 12.

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