Symbol deutschen Weltmachtstrebens

■ betr.: "Kulturkampf um Berlin", taz vom 15.10.90

betr.: „Kulturkampf um Berlin“, taz vom 15.10.90

Ich möchte Dir zu Deinem „hervorragenden“ Artikel gratulieren, aber auf ein paar Probleme, die ich damit hatte, muß ich doch hinweisen:

Du möchtest den Namen Berlins von dem Makel des Nationalsozialismus mit dem Wasser des Widerstandes reinwaschen. Allein, es gelingt Dir nicht, und es kann auch niemandem gelingen. [...]

Ich denke, daß jeder die Bedeutung Berlins als Widerstandszentrum im Dritten Reich kennt, die Bedeutung als Hauptstadt, und hier ist es egal, ob die BerlinerInnen das so wollten, zur Zeit des Nationalsozialismus mit den Ereignissen Reichstagsbrand, Fackelaufzug durch das Brandenburger Tor, Führerbunker, Prinz-Albrecht-Palais und so weiter, können damit mit Sicherheit nicht kompensiert werden. Berlin ist nunmal ein Symbol deutschen Weltmachtstrebens von Kaiser Wilhelm III. bis zu Hitler und, aufgrund der Teilung, auch Symbol des Endes dieser Ziele. Nicht ohne Grund haben die alliierten Bomber diese Stadt in Schutt und Asche gelegt, sie war und ist in den Köpfen der Menschen mit dem Nationalsozialismus verbunden.

Wenn dann die „grauenvolle“ Provinzialität Bonn ins Spiel gebracht wird, so kann ich hierzu nur schreiben, daß nur eine Weltmacht, die Deutschland in den Augen so vieler wieder werden soll, eine Großstadt als Hauptstadt benötigt, ja dann reicht Bonn natürlich nicht mehr aus. Möchten wir allerdings ein Deutschland, daß sich auch weiterhin zurückhaltend und behutsam auf dem Parkett der internationalen Politik bewegt, so scheint meines Erachtens Bonn die bessere Wahl zu sein, symbolisiert Deutschland doch dadurch dem Ausland, daß keine wesentliche neue Rolle in der Weltpolitik angestrebt wird.

In diese Debatte auch noch Begriffe wie den Gegensatz vom „protestantischen Norden und katholischen Süden“, „preußischer Toleranz und klerikalem Dogma“ aufzunehmen, grenzt doch fast an Lächerlichkeit in Zeiten, in denen die Gegensätze zwischen den Konfessionen nur geringer Natur sind und der Norden, bedingt durch den DDR-Beitritt, wohl besser mit „atheistisch“ bezeichnet wird. Und die preußische Toleranz — hoffentlich meint der Autor des 'Hamburger Abendblattes‘ hier nicht allein das Edikt vom 29.10.1685 — scheint mir eher Wunschdenken denn Realität zu sein. Ausländerfeindlichkeit, Abgeordnetenhauswahlen, alltägliches Leben in dieser Stadt bestätigen dies und belegen, daß eine Stadt, um provinziell zu sein, nicht unbedingt klein sein muß.

Wenn dann noch die Prognosen der Städteplaner für Berlin im Falle der alleinigen Hauptstadtfunktion berücksichtigt werden, so sehe ich hier schon genug Gründe, die gegen Berlin sprechen, denn wer will solch einen Großstadtmoloch, wie er uns prophezeit wird?

Natürlich, Herr Fichter, in einem Punkt muß ich doch eventuell Konzessionen machen, wenn die Mehrheit des Volkes Berlin als Hauptstadt will (mein Gott, die SPD basisdemokratisch), so soll es denn geschehen. Obwohl man es auch mit Chamfort halten könnte: „Il y à parier que toute idée publique, toute convention reçue, est une sottise, car elle a convenu au plus grand nombre.“ („Man kann wetten, daß jede öffentliche Meinung, jede allgemeine Konvention eine Dummheit ist, denn sie hat der großen Menge gefallen.“) Norwich Ruße, Berlin 44