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Weltweiter Reifenkrieg ums Marktprofil

Japaner mischen den Reifenweltmarkt auf/ Fusionsverhandlungen zwischen Continental und Pirelli werden hinter verschlossenen Türen fortgesetzt  ■ Von Klaus-Peter Klingelschmitt

Frankfurt (taz) — Leopoldo Pirelli (65), Präsident der Pirelli SpA mit Sitz in Milano, plant eine Hochzeit auf Italienisch: Mit der finanziellen Unterstützung eines „Support- Clubs“ will der Grandseigneur der lombardischen Wirtschaft und Mehrheitsaktionär an der Pirelli Tyre Holding (Amsterdam) mit dem bundesdeutschen Reifengiganten Continental AG fusionieren, um dann — gemeinsam mit den Hannoveranern — vor allem dem japanischen Reifenkonzern Bridgestone Paroli bieten zu können. Pirellis Vorschlag: Zusammenlegung der Reifensparten beider Konzerne unter Führung seines ehrenwerten Hauses. Die „Conti“ sollte nach den Vorstellungen des Italieners die Amsterdamer Pirelli-Holdung kaufen, und Pirelli wollte danach — mit der Unterstützung befreundeter Aktionäre — eine Mehrheitsbeteiligung an dem dann fusionierten Unternehmen erwerben.

Doch der Vorstandsvorsitzende der Continental AG, Horst W. Urban (54), lehnte das Angebot der Italiener vor Monatsfrist schroff ab. Pirelli habe seine Holding „überteuert“ angeboten, meinte „Conti“-Sprecher von Herz. Und daß die Mailänder dann im gemeinsamen Haus auch noch „das Sagen“ haben wollten, schmeckte den Hannoveranern schon gar nicht, obgleich der Continental AG das Wasser bis zum Halse steht.

Alleine im ersten Halbjahr 1990 sackten die Gewinne der Nummer vier auf dem Weltreifenmarkt im Stammkontinent Europa von 165 Millionen D-Mark im Vergleichszeitraum des Vorjahres auf unter 100 Millionen D-Mark ab. Der Aufsichtsrat der „Conti“ mit dem Vorsitzenden Ulrich Weiss von der Deutschen Bank an der Spitze schlug Alarm, denn auch bei der US-Tochter General Tyre bahnt sich ein Debakel an: Die Gewinne erodieren — und gleichzeitig steigen die Preise für die unentbehrlichen Rohstoffe Kautschuk und Erdöl.

Die Pirelli SpA hat auf dem Weltmarkt mit ähnlichen Problemen zu kämpfen. Sinkende Erlöse trotz Umsatzsteigerungen kennzeichnen auch bei den Italienern seit Jahresfrist die Konzernlage. Mit den Japanern, die auf dem Weltmarkt die Nummer eins werden wollen, mithalten konnte da bislang nur der Branchenführer Michelin aus Frankreich, doch Bridgestone ist dabei, mit einem aggressiven Preiskrieg auch noch die letzten europäischen Bastionen auf dem Weltreifenmarkt zu schleifen. Im Wettbewerb um die begehrten Erstausstattungsverträge der Fahrzeughersteller bieten die Japaner ihre Reifensätze teilweise bis zu 20 Prozent unter den Herstellungskosten an — eine ruinöse Angelegenheit gerade für die monostrukturierten, im Vergleich mit Bridgestone oder Michelin nur mittelgroßen Anbieter Continental und Pirelli.

Und da bei „Conti“ immerhin 70.000 Arbeitsplätze im strukturschwachen Niedersachsen auf dem Spiel stehen, hat sich auch Regierungschef Gerhard Schröder (SPD) in die Fusionsdebatte eingeschaltet. Der sozialdemokratische Ministerpräsident traf sich Ende September mit Konzernchef Leopoldo Pirelli zum „Arbeitsessen“ — und verkündete danach, daß er von der Notwendigkeit einer Fusion Continental/Pirelli überzeugt sei. Doch Schröders Einlassungen zum Thema sorgten in Hannover erst einmal für Aufregung: Die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat warfen Schröder vor, „unsensibel“ gehandelt zu haben. Ein sozialdemokratischer Ministerpräsident, so die Stellungnahme des IG-Chemie Bezirksvorsitzenden Schlesies, habe zunächst mit den Vertretern der Arbeitnehmer zu sprechen, ehe er sich die Kapitaleigner an den Tisch holt. Auch Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder der „Conti“ fühlten sich von Schröder düpiert.

Die an der Leine entbrannte politische Debatte um die Zukunft des Unternehmens stärkte deshalb dem fusionsunwilligen „Conti“-Vorsitzenden Urban, der aufgrund diverser unternehmenspolitischer Fehlentscheidungen beim Aufsichtsrat bereits in Ungnade gefallen war, wieder den Rücken. Der bei der Deutschen Bank für die Italiengeschäfte zuständige „Conti“-Aufsichtsratsvorsitzende Weiss soll gar eine Investorengruppe aus dem von Pirelli zusammengestellten „Support-Club“ zur Fusionierung mit der Continental herausgebrochen haben.

Dabei ist allen Beteiligten eigentlich klar, daß nur die Fusion beiden Unternehmen eine Überlebenschance bieten kann. Alleine in den kostenträchtigen Unternehmensbereichen Forschung und Entwicklung würden dann Einsparungen in Höhe von etwa 400 Millionen D-Mark jährlich möglich. Und das Gemeinschaftsunternehmen Continental/Pirelli würde zum „global-player“, weil Continental auf dem Weltmarkt dort stark ist, wo Pirelli nur schwach vertreten ist — und umgekehrt. Am Zuge ist jetzt Grandseigneur Leopoldo Pirelli, der letzte „Leopard“ (Lampedusa) des italienischen Industrieadels.

Auf dem Verhandlungstisch liegt inzwischen ein von Gewerkschaftsseite ins Spiel gebrachter Vorschlag, wonach „Conti“ und Pirelli je 49 Prozent einer zu gründenden Reifenholding halten sollen. Die restlichen zwei Prozent (Sperrminorität) soll dann das Land Niedersachsen übernehmen — eine Konstruktion, die sich nach Auffassung der Gewerkschaften und der Regierungsparteien SPD und Grüne in anderen Fällen bereits bewährt habe. So befürwortete die wirtschaftspolitische Referentin der Grünen im Landtag von Hannover, Dr. Cornelia Heintze, die Fusion mit dem Hinweis darauf, daß schließlich 70 Prozent der Arbeitsplätze im südlichen Niedersachsen von der Automobilindustrie (VW) und ihren Zulieferfirmen abhängig seien. Und davor könne auch eine grüne Fraktion, die sich grundsätzlich gegen einen Konzentrationsprozeß in der Wirtschaft ausgesprochen habe, nicht die Augen verschließen.

Doch „Conti“-Chef Urban blockte in der vergangenen Woche auch den Vorschlag auf Gründung einer Holding mit Landesbeteiligung ab. Urban setzt weiter auf eine „stand alone“-Politik, denn bei einer Fusion mit Pirelli wäre der als „unflexibel“ geltende Vorstandsvorsitzende weg vom Fenster. Aufgrund der „Irritationen in der Öffentlichkeit“, so „Conti“-Sprecher von Herz, hätten alle Beteiligten an der Leine und in Milano inzwischen „Stillschweigen“ über den Stand der weiteren Verhandlungen über die Fusion Continental/Pirelli vereinbart. Dennoch scheint festzustehen, daß es hinter den verschlossenen Türen nur noch um das „Wie“ der Fusion geht — und um eine würdiges Abgangszenario für den Vorstandsvorsitzenden Urban.

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