: 'Prawda‘ mosert gegen Jelzin
■ Radikale Reformer halten Gorbatschows Wirtschaftsprogramm für zum Scheitern verurteilt
Moskau (ap/taz) — In der UdSSR verschärfen sich die Auseinandersetzungen um die Wirtschaftsreform. Heute soll Gorbatschow das von ihm vorgeschlagene Kompromißprogramm vor dem Obersten Sowjet vortragen. Gestern noch attackierte die sowjetische Parteizeitung 'Prawda‘ Boris Jelzin scharf. Dieser habe der Zentralregierung in Moskau offen den Krieg erklärt und damit die Suche nach einem Kompromiß zur Rettung der sowjetischen Wirtschaft sabotiert.
Jelzin seinerseits hatte am Mittwoch der Unionsregierung unter Ministerpräsident Ryschkow vorgeworfen, sie wolle das bürokratische Lenkungssystem in der Wirtschaft erhalten. Und sie sabotiere die russische Republik auf der Suche nach Reformen. Jelzin hatte gedroht, daß Rußland nicht mitziehen werde, falls Gorbatschows Reformprogramm zur offiziellen Richtlinie der Politik gemacht werden sollte. Gorbatschows Programm sei untauglich und müsse innerhalb eines halben Jahres scheitern.
Ähnlicher Meinung ist auch der Mitverfasser des radikalen Reformprogramms, der stellvertretende Ministerpräsident Rußlands Grigori Jawlinski, der am Mittwoch seinen Rücktritt anbot. Er warnte vor der Inflation, die mit dem Übergang zur Marktwirtschaft einhergehen werde, sollte Gorbatschows Kurs zur Richtschnur werden. Das 500-Tage- Programm müsse in der ganzen Sowjetunion durchgesetzt werden oder es müsse scheitern. In der Russischen Föderation allein sei es nicht umsetzbar, begründete Jawlinski sein Rücktrittsgesuch. Einige sowjetische Zeitungen sehen jetzt eine Regierungskrise in Rußland heraufziehen.
Das Gorbatschow-Programm wurde gestern in einigen sowjetischen Zeitungen veröffentlicht. Im Unterschied zum Programm der Radikalen hält Gorbatschow an der Beibehaltung einer starken Zentrale fest. Er sieht weiter eine zentralisierte Bestimmung der Preise, ein gemäßigtes Tempo der Privatisierung von Staatseigentum und fortgesetzte Subventionierung zumindest eines Teils der verlustbringenden Betriebe vor.
Unterdessen erklärte der Vorsitzende der New Yorker Aktienbörse (NYSE), John Phelan, die UdSSR könne theoretisch innerhalb von 18 Monaten über eine eigene — wenn auch noch nicht voll entwickelte — Börse verfügen. Die NYSE sei bereit, beim Aufbau einer solchen Einrichtung behilflich zu sein. Er erwarte, daß an einer sowjetischen Börse zunächst nur Renten und Aktien einiger privatisierter Unternehmen gehandelt werden. Als mögliches Modell nannte er die neugeschaffene Börse in Budapest. Nach Phelan muß die sowjetische Regierung zunächst für die Konvertierbarkeit des Rubels sorgen, wenn sie ausländische Investoren anlocken will.
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