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In zwei Jahren gibt's West-Gehälter

Gewerkschaft HBV fordert schnelle Lohn- und Gehaltsangleichung in Ostdeutschland  ■ Von Martin Kempe

Berlin (taz) — Der Vorsitzende der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen (HBV), Lorenz Schwegler, sieht sich und seine Gewerkschaft in einer ungewohnten Rolle: „Wir sind in den Ländern der ehemaligen DDR so etwas wie Tarifführer“, meint der alerte Gewerkschaftsführer nicht ohne Stolz und verkündet: schon 1992 soll in seinem Organisationsbereich das Lohn- und Gehaltsniveau auch in den neuen fünf Bundesländern auf Westniveau gestiegen sein. In zwei Stufen soll das westliche Tarifniveau auch östlich der Elbe durchgesetzt sein.

Die anderen Gewerkschaften, insbesondere in den von der Krise geschüttelten Industriebranchen Metall, Chemie, Textil und in der Landwirtschaft, können sich derartige Ankündigungen mangels Erfolgsaussicht kaum leisten.

Schon im Frühjahr hatte man bei der IG Metall über eine 100-Prozent- Forderung der HBV im Bankbereich den Kopf geschüttelt: „Die wecken nur Hoffnungen, die wir gar nicht erfüllen können.“ Denn in fast allen Branchen müssen die Gewerkschaften eine schwierige Gratwanderung zwischen Lohnsteigerung und Arbeitslosigkeit absolvieren. Nicht so die HBV. Ihre Branchen gehören zu den Gewinnern der Währungs- und Wirtschaftsunion.

Die HBV erwartet sowohl im Banken- wie im Versicherungsbereich einen rapiden Zuwachs an Arbeitsplätzen. Und die Arbeitgeber sind keine um ihr Überleben kämpfenden DDR-Firmen, sondern die westdeutschen Großbanken und Versicherungskonzerne, die derzeit dabei sind, im Osten ein flächendeckendes Filialnetz aufzubauen. Das nötige Geld für die schnelle Lohn- und Gehaltsangleichung ist also da.

Auch im Handel, dem größten Organisationsbereich rechnet sich die HBV sowohl in der Tarifpolitik wie in der Mitgliederrekrutierung gute Chancen aus. Denn gegenwärtig findet zwar in den vorhandenen Verkaufsstellen ein Personalabbau statt, gleichzeitig aber werden die Verkaufsflächen stürmisch erweitert. Am Ende, so Schwegler, werde es im Handel wohl ungefähr so viele Beschäftigte geben wie vor der Wende.

Auch beim Aufbau einer einheitlichen gesamtdeutschen Gewerkschaftsorganisation ist die HBV eine der ersten. Ende Oktober soll in Bonn der „Vereiniguns-Gewerkschaftstag“ stattfinden. Wichtigster Tagesordnungspunkt ist die satzungsrechtliche Ausdehnung des Organisationsbereichs auf die fünf neuen Bundesländer und Ost-Berlin.

Inzwischen sieht man auch organisationspolitisch optimistisch in die Zukunft, denn über 200.000 Beschäftigte haben bei der HBV (Ost) bereits ihr Beitrittsformular abgegeben. „Ab dieser Zahl rechnet sich der Organisationsaufbau“, sagt der stellvertretende HBV-Vorsitzende (Ost), Günter Rose, ein „Wessi“, der zuvor Justitiar der HBV (West) war und dies auch nach der Vereinigung Ende Oktober wieder werden wird. Wieviele Mitglieder aus dem Osten zur derzeit rund 420.000 Mitglieder zählenden HBV stoßen werden, wissen die Funktionäre noch nicht. Aber „so etwa 700.000 werden wir wohl nachher sein“, meint Schwegler. Der Organisationsgrad der Angestellten- Gewerkschaft wird dann im Osten höher sein wird als im Westen.

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