Eine Lobby für die Roma

■ Interview mit dem Vorsitzenden der Berliner Roma-Union, Alfred Erdölli, zur Situation der Roma und über die, die noch kommen INTERVIEW

Für die Politiker sind sie ein hervorragendes Wahlkampfthema, für die Behörden ein »Problem«, für die Berliner Bevölkerung, egal welcher politischer Couleur, der Inbegriff von Fremdheit. Ein paar tausend Roma aus Rumänien haben in letzter Zeit die Stadt in Aufregung versetzt. In Berlin haben sich die hier ansässigen, deutschen Roma in einer Union zusammengeschlossen, die in Zukunft nicht nur Vermittler, sondern auch Lobby für Roma — egal welcher Staatsangehörigkeit — sein will.

taz: Herr Erdölli, sind die Roma ein Problem?

Erdölli: Für die deutsche Gesellschaft offenbar schon. Da werden neue Feindbilder aufgebaut. Früher waren es die Italiener oder Türken, jetzt sind es die Roma. Ein paar tausend Roma, die hier eingereist sind, lösen gleich eine Asyldebatte aus. In Sachen Artikel 16 des Grundgesetzes ist momentan eine Debatte im Gange, die ist unerhört.

Es ist längst klar, daß die meisten Roma nicht ins Asylverfahren gehören und oft auch gar keinen Antrag stellen wollen. Wo liegen die aufenthaltsrechtlichen Alternativen?

Sie werden in Rumänien diskriminiert, sie werden verfolgt und sind ihres Lebens nicht sicher. Kommen sie nach Westeuropa, wird ihnen schnell klar, daß sie hier auch nicht bleiben können. Ich würde es für vernünftig halten, Roma aus Osteuropa zumindest ein befristetes Bleiberecht zu gewähren. Denen, die dann bleiben wollen, sollte auch diese Möglichkeit gegeben werden. Das Problem ist: Die Roma haben kein Land, wo sie hingehören. Und solange man sie nicht auch in den westeuropäischen Staaten integriert, wird man diese Problematik nicht lösen können.

Was soll man denn in diesem Fall unter »Integration« verstehen?

Die deutschen Roma sind seit Generationen »integriert«. Wir gehen in Schulen, wir leben und arbeiten hier. Dieses Angebot muß auch den osteuropäischen Roma gemacht werden, die hierherkommen. Was keiner weiß: Diese Leute haben oft eine abgeschlossene Berufsausbildung, sind gute Stukkateure, Werkzeugmacher oder Drechsler — und sie wollen arbeiten. Warum verschaftt man diesen Leuten nicht die Möglichkeit, für begrenzte Zeit hier zu arbeiten? Machen Sie sich doch einmal eines klar: Roma wollen wie alle anderen Menschen ein sicheres Dach über dem Kopf, genug zu essen und in Frieden und schön leben. Nur hat man ihnen in den letzten Jahrhunderten wenig Gelegenheit dazu gegeben.

Keine Gruppe ist den Einheimischen so fremd wie die Roma. Das Unwissen ist immens — und das liegt nicht nur an der Sprache. Wie kann die Sprachlosigkeit überwunden werden?

Ein erster und wichtiger Schritt wäre die Einrichtung einer Beratungsstelle für Roma. Jemand muß die Roma informieren über Behörden, soziale Einrichtungen, muß übersetzen und vermitteln, wenn es zu Konflikten mit den Behörden kommt. Sie glauben gar nicht, wie erleichtert zum Beispiel Polizeibeamte waren, wenn wir von der Roma-Union aufgetaucht sind, um uns um die Leute zu kümmern. Es gibt zwar an die zwölf Büros für Sinti und Roma. Nur ist in denen kein einziger Rom tätig. Die werden von Sinti verwaltet und geführt...

Also ist die autonome Organisation der Roma auch ein Emanzipationsprozeß von den Sinti....

Könnte man durchaus so sehen.

Sie gehen fest davon aus, daß in naher Zukunft vor allem Roma aus der Sowjetunion nach Deutschland kommen werden. Woher haben Sie diese Informationen?

Unser Informationssystem ist schon etwas älter als SAT1 oder die Deutsche Welle. Die Reisenden bringen die Neuigkeiten über die Landesgrenzen. Es ist also sehr wahrscheinlich, daß in Zukunft Roma vor allem aus der Sowjetunion, aber auch aus Polen kommen werden.

Wie sieht die Situation der Roma in der Sowjetunion aus?

So paradox es klingt, in der Sowjetunion ist es meinem Volk unter kommunistischer Herrschaft noch relativ gut gegangen, aber jetzt bricht der ganze Fremdenhaß gegen die Minderheiten los. Davon sind die Roma genauso betroffen wie die Juden.

Gibt es Ihrer Meinung nach für eine Stadt wie Berlin einen Punkt, an dem die Aufnahmefähigkeit erschöpft ist?

Die gibt es sicher — aber die ist immer auch mit dem politischen Willen verbunden. Die Aus- und Übersiedler hat man ganz gut untergebracht. Wenn der menschliche Wille da ist, kann man eine ganze Menge tun. Interview: Andrea Böhm