Rohölpreis stürzt in New York auf 28 Dollar ab

■ Der Markt zwischen Militärstrategie, Psychologie und Traumdeutung

Die amerikanischen Rohölpreise haben am Montag an der New Yorker Warenterminbörse ihren bisher größten Einbruch erlebt. Rohöl zur Novemberauslieferung fiel gegenüber Freitag vergangener Woche um nicht weniger als 5,41 Dollar auf 28,38 Dollar je Barrel(159 Liter). Das war ein Einbruch von 16 Prozent. In den vergangenen Tagen ist der Ölpreis von fast 41 Dollar je Barrel um rund zwölf Dollar oder um knapp 30 Prozent abgestürzt. Der Ölpreis hatte zu Beginn der Irak- Krise bei 21 Dollar und im Frühsommmer bei nur 16 Dollar je Barrel gelegen.

Was ist passiert, daß die aggressive Preispolitik nun aufgegeben wird? Die Händler spekulieren vor allem auf Gewinne und legen weniger Wert darauf, sich gegen zu starke Preisschwankungen an der Börse abzusichern — in ihrer Sprache „hedging“. Zunächst hatten sie, trotz der vorhandenen Reserven, das Millionengeschäft weidlich ausgekostet unter Bezug auf die drohende Kriegsgefahr am Golf. Die „Kriegspsychologie“ muß auch nun wieder zur Erklärung des Preiskollaps herhalten. Der Rohölpreis erlebte seine jüngsten Einbußen, als der saudi-arabische Außenminister und Bruder König Fahds, Prinz Sultan Ibn Aziz, vorgestern erstmals seit Beginn der Golfkrise am 2. August andeutete, man könne nach einem Abzug der Irakis aus Kuwait über finanzielle oder gar territoriale Konzessionen verhandeln. Dieser konziliante Ton, verbunden mit der Story einer kuwaitischen Zeitung von einem Traum Saddam Husseins, in dem ihm der darin erschienene Prophet Mohammed den Rückzug aus Kuwait anriet, setzte die Händler unter Druck und tat ein übriges, den Markt nun seine Kriegsspekulationen abrupt vergessen zu lassen. Auch die Privat-Mission des „elder statesman“ und früheren britischen Premierministers Edward Heath in Bagdad war ein „Signal“. Saddam Hussein soll US- Berichten zufolge Heath gegenüber zugegeben haben, daß ein Krieg katastrophale Folgen für den Irak hätte. „Man muß Militärstratege, Psychologe oder Traumdeuter sein“, um an der Börse agieren zu können, zitierte das 'Wall Street Journal‘ gestern einen Fachmann.

Amerikanische Ölhändler halten jetzt eine Handelszone von 23 bis 28 Dollar für angebracht, falls, ja falls sich die Lage am Persischen Golf weiter entspannen sollte. Jede Drohung militärischer Auseinandersetzungen könnte hingegen die Ölpreise wieder rasch in die Höhe treiben, prophezeit Peter Beutel von der Pegasus Econometrics. Seit dem 2. August verfolgen die Ölhändler auf ihren Computerbildschirmen angespannt jede kleine Meldung zur Golfkrise. Für Jim Tait vom Mineralölkonzern Chevron gibt es dabei vier „Hauptszenarien“: ein „Blitzkrieg“, ein langwieriger militärischer Konflikt, eine rasche friedliche Lösung oder ein anhaltender Nervenkrieg. Seine Börsenstrategie richtet er danach aus, welche Entwicklung die größte Wahrscheinlichkeit besitzt. „Man kann das Absicherung, man kann das aber auch Spekulation nennen.“ AS