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Jubiläum eines Mammutprozesses

Nach einjähriger Verfahrensdauer sind im Düsseldorfer Prozeß gegen 18 Mitglieder der Kurdischen Arbeiterpartei viele Fragen offen/ Zeugen unter Schutz des BKA/ Anklage weitgehend erschüttert  ■ Von Bettina Markmeyer

Düsseldorf (taz) — Genau heute vor einem Jahr begann vor dem Düsseldorfer Oberlandesgericht der „größte Terroristenprozeß in der Geschichte der Bundesrepublik“, der Prozeß gegen 18 Mitglieder der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK). „So wie es aussieht“, bilanziert einer der Verteidiger, der Bremer Rechtsanwalt Hans-Eberhard Schultz, „werden weitere Jahrestage folgen“. Nicht nur, daß dieser Prozeß einer der größten ist, er ist sicher auch einer der zähesten.

Nach einem Jahr steht das Gericht noch immer am Beginn der Beweisaufnahme. Vernommen wird derzeit der neben dem zukünftigen Kronzeugen Ali Cetiner wichtigste Belastungszeuge in diesem Verfahren, Nusret Arslan. Zu jedem Verhandlungstag wird er eigens mit einem Hubschrauber des Bundesgrenzschutzes eingeflogen. Seit Februar 1988 gilt für Arslan das Zeugenschutzprogramm des BKA. Die VerteidigerInnen sprechen von Arslan stets als „bestgeschütztem Zeugen der Republik“, der nicht nur in seiner Funktion als Zeuge, sondern auch privat völlig vom BKA abhängig sei. So werde, kritisiert Schultz, der Zeuge „gegenüber Verfahrensbeteiligten und der Öffentlichkeit abgeschirmt, während der ständige Zugriff der Ermittlungsbehörden auf ihn gewährleistet ist“.

Angeklagte im Glaskäfig

schien Arslan erstmals vor Gericht. Er kam durch die Tür, die sonst der Bundesanwaltschaft vorbehalten ist, angetan mit einer kugelsicheren Weste und begleitet von vier Beamten des BKA, die auch während seiner Aussage nicht von seiner Seite wichen. Es kann Monate dauern, bis Arslan wieder aus dem Zeugenstand entlassen wird.

Begonnen hatte das PKK-Verfahren vor einem Jahr mit einem Eklat. Die Angeklagten mußten hinter einer Glaswand Platz nehmen, die sie vom übrigen Gerichtssaal trennte. Aus Protest verfolgten sie die Verhandlung monatelang stehend. Im Februar dieses Jahres fiel dieser vielkritisierte „Kurdenkäfig“. Nach und nach wurden auch die meisten Angeklagten aus der Untersuchungshaft entlassen, da diese gegenüber den zu erwartenden Strafen unverhältnismäßig wäre. Zuletzt kam in der vergangenen Woche Mehmet Yildirim gegen Kaution frei. Derzeit sitzen noch sechs Angeklagte, von denen einige an der Entführung und Ermordung abtrünniger Parteimitglieder beteiligt gewesen sein sollen, in Köln und Düsseldorf in Untersuchungshaft.

Parteiverfahren gegen Abtrünnige?

Nusret Arslan wird indessen vom Vorsitzenden Richter Jörg Belker zu den europäischen Organisationsstrukturen der PKK vernommen. Laut Anklage haben sich die in Düsseldorf vor Gericht stehenden KurdInnen an der Bildung einer terroristischen Vereinigung innerhalb der PKK beteiligt, deren Ziel unter anderem die Verfolgung, Bestrafung oder gar Ermordung abtrünniger Parteimitglieder ist. Diese Vereinigung wird von der Bundesanwaltschaft auf der europäischen Führungsebene der Partei sowie in „Gruppen für spezielle Arbeiten“ angesiedelt, darunter Parteiuntersuchungskommissionen und sogenannte Volks- oder Revolutionsgerichte.

Zu diesem Komplex befragt, machte Arslan vor Gericht von seiner polizeilichen Vernehmung, die allein zwei Aktenordner füllt, teils abweichende Angaben, beispielsweise darüber, wer auf den Führungsebenen der Partei Kenntnis von Bestrafungsaktionen gegen Abtrünnige hatte und wer nicht. Arslan selbst wurde laut Anklage und eigener Aussage 1988 in Braunschweig Opfer einer Entführung und sollte vor einem parteiinternen Gericht zur Rechenschaft gezogen werden, weil er sich während der Vorbereitung einer Guerillaaktion wenige Monate zuvor von der Partei abgesetzt hatte. Anschließend war er, so seine Aussage, in die Bundesrepublik geflohen. Vier der in Düsseldorf Angeklagten sollen an Arslans Entführung beteiligt gewesen sein. Als er diese dem Gericht schilderte, ergaben sich wiederum Ungereimtheiten über seine Flucht vor den Entführern und Widersprüche zu seiner früheren Aussage. Hielt der Richter ihm diese vor, indem er aus Protokollen des BKA zitierte, flüchtete sich Arslan häufig in eine dritte Version

Kronzeuge mit Widersprüchen

Mit der Vernehmung Arslans sind die massiven Verständigungsschwierigkeiten im Düsseldorfer PKK-Verfahren noch größer geworden. Hatten zuvor Übersetzungsstreitigkeiten viele Verhandlungstage dominiert, ist nunmehr der wichtigste Zeuge der Anklage, der auch zu den zwei Angeklagten angelasteten Morden im Libanon aussagen soll, offenbar nicht in der Lage, seine Aussage in verständlichem Türkisch zu formulieren. Nach Auskunft der DolmetscherInnen sind Wort- und Satzbezüge häufig falsch oder fehlen ganz. Sätze wie: „Die Organisation an sich begeht gegenüber solchen, die sich so stellen, eine solche Taktik“ fallen häufig. Die vermeintlichen Europa-Strukturen der PKK, beobachtete eine Delegation des Republikanischen AnwältInnenvereins im September, schildere Arslan in wüstem „Parteichinesisch“ und abstrakten Floskeln ohne jede Anschauung. Tatsächlich lebte Arslan bis zu seiner Flucht in die Bundesrepublik im Nahen Osten und gehörte europäischen Gremien der Partei nie an.

Der Verteidiger Carl Heydenreich beantragte, Passagen aus Arslans Aussage zu protokollieren, in denen er verschiedene Abkürzungen für europäische PKK-Unterorganisationen nicht zu deuten wußte. Brisant sind die Widersprüche in Arslans Aussage vor allem deshalb, weil bei einer Verurteilung nach § 129a nicht die konkrete Tat nachgewiesen werden muß, sondern nur die Zugehörigkeit zu der sie ausführenden Gruppe oder auch nur Kenntnisse über diese Gruppe und ihre Entscheidungen ausreicht.

Entlastende Beweise unterdrückt?

Die Stimmung im Prozeß ist weiterhin sehr angespannt. Im Sommer hatten die VerteidigerInnen bekanntgemacht, daß die Bundesanwaltschaft entlastendes Beweismaterial unterdrückt hatte. Nach für diesen Prozeß üblichen Rangeleien um die Erteilung des Wortes und Zwischenrufen beantragte einer der Bundesanwälte, fünf VerteidigerInnen wegen „ungebührlichen Benehmens“ zu entpflichten. Eine Entscheidung darüber steht noch aus. Rechtlich, so die AnwältInnen, entbehre ein solcher Antrag „jeglicher Grundlage“.

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