: „Groß-Israel“ rückt in weite Ferne
Israel igelt sich in den Grenzen des Sechs-Tage-Krieges von '67 ein/ Palästinenser dürfen besetzte Gebiete nicht mehr verlassen/ Militärbehörden sprechen von „Belfastisierung“ des Heiligen Landes ■ Aus Tel Aviv Amos Wollin
Nach beinahe drei Jahren Intifada haben nun der Aufstand steinewerfender Kinder und die wechselseitigen Aktionen von Gewalt und Gegengewalt von den israelisch besetzten Gebieten auf das Kernland Israels übergegriffen. Die Militärbehörden sprechen bereits von einer „Belfastisierung“ Israels. Verteidigungsminister Arens sah sich daher gezwungen, die besetzten Gebiete entlang der Grenzen von 1967 abgezuschotten. „Dieser Schritt bedeutet die Rückkehr zur 'Grünen Linie‘, zu den Grenzen vor dem Sechstagekrieg“, meinte Ephraim Sneh, Ex-Koordinator für „Politik in den besetzten Gebieten“.
Die israelische Öffentlichkeit reagiert geschockt. Denn selbst diejenigen — und es waren deren viele —, die bisher den Palästinenseraufstand ignorieren konnten, sehen sich seit den Ereignissen der letzten Tage direkt mit dem Aufstand konfrontiert: Palästinenser der besetzten Gebiete greifen im israelischen Kernland Israelis mit Messern an und verkünden anschließend ihre Motive: Rache für das Massaker am Tempelberg, Rache für Militäraktionen in den Flüchtlingslagern der Westbank oder des Gaza-Streifens. Auf die Rache folgt dann stets die „Gegenrache“. Extremistische israelische Gruppierungen schießen auf Palästinenser, die in Israel arbeiten, greifen Busse an, die arabische Tagelöhner nach Israel bringen.
Dieser Spirale von Gewalt und Gegengewalt wollen die israelischen Behörden nun durch die Abriegelung der besetzten Gebiete beikommen. Damit haben die Palästinenser indirekt genau das erreicht, was sie immer forderten: eine Abtrennung „Restpalästinas“ vom Staat Israel. Doch der strategische „Sieg“ der Palästinenser hat einen hohen Preis. Denn so lange ihnen das Kernland Israels verschlossen ist, werden die weit mehr als 100.000 in Israel arbeitenden Palästinenser und deren Familien ohne Lohn und Brot sein. Und das in einer Zeit, in der aufgrund der irakischen Annexion Kuwaits und der anschließenden Ausweisung von Zehntausenden von Palästinensern aus den Golfstaaten der Strom der „Gastarbeiter-Devisen“ in die Dörfer und Städte Palästinas zum kümmerlichen Rinnsaal schrumpfte. Sneh befürchtet: „Das kann katastrophal werden. Das wird für Sozialsprengstoff in den Gebieten sorgen.“
Für die israelische Regierung hat die Abriegelung der besetzten Gebiete und die unfreiwillige Rückkehr zur „Grünen Linie“ indes den schmerzlichen Beweis geliefert, daß ein „Groß-Israel“ mit der „Blauen Grenzlinie“ des Jordans in weite Ferne gerückt ist. Die alte Diskussion um eine „Zwei-Staaten-Lösung“ dürfte damit wieder aufbrechen. Auch die Illusion, der Golfkonflikt würde das Palästinenserproblem langfristig überlagern, muß nun begraben werden. Wie die Behörden selbst eingestehen, ist mit einer neuen Phase der Intifada zu rechnen. Einer erstarkten Intifada, die sich langfristig als sehr gefährlich für Israel erweisen könnte. Den Rat, sich zu bewaffnen, den Israels Sicherheitsbehörden an die Bürger ausgeben, wird kaum die Probleme, wohl aber die Chancen auf den mehr denn je nötigen politischen Dialog zwischen Israelis und Arabern verringern. Ganz in diesem Sinne äußerte sich auch Teddy Kollek, der Bürgermeister von Jerusalem: „Eine Normalisierung ist nur dann zu erwarten, wenn es gelingt, einen Prozeß auf den Weg zu bringen, der zu einer friedlichen Beilegung des Konflikts führen kann.“
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