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Nichts für Tanzbeine

■ Bandoneontangos von Luis di Matteo aus Montevideo

Ein schmachtender Blick, Wange schmiegt sich an Wange, Bein an Bein, und sehnsüchtig begleitet die Melodie ein Paar, das tanzt — dieses Bild beherrscht den Tango. Außerhalb Uruguays und Argentiniens war der Tango nur eine musikhistorische Episode, bestenfalls ein Modetanz und somit im Grunde ein exotischer Importartikel. Erst seit den 80er Jahren, möglicherweise genährt durch die Überfütterung mit stereotyper, elektrischer und elektronischer Musik, gab es eine Rückkehr zum Tango, und auch hierzulande begannen sich die Konzertsäle zu füllen, wenn Namen wie Astor Piazzolla, Juan Jose Mosalini oder Luis di Matteo angekündigt waren. Tanzbar ist deren Musik nicht mehr: Luis di Matteo sagt selbst »Tango concertante« dazu, ein Begriff, der schon treffend beschreibt, wie sehr dabei die Grenzen zwischen U- und E-Musik überschritten werden.

Tango, was soviel heißt wie Schlag, kommt nicht, wie so oft behauptet, ausschließlich aus Argentinien, sondern stammt aus jener Bucht zwischen Buenos Aires und Montevideo, dem Gebiet des Rio de la Plata, und verbindet so auf musikalische Art und Weise Uruguay mit Argentinien. Die Poesie des Tangos war stets auch eine Poesie des Protestes, vermittelte eine Lebensphilosophie, besser das Lebensgefühl und die Schwermut der zahllosen afrikanischen und europäischen Einwanderer. Seine Musik war eine Musik der Armen und Reichen zugleich, der Diebe, Strolche und Huren, der unglücklich und sehnsüchtig Liebenden, gespeist von den unterschiedlichen Einflüssen der Einwohner und nicht zuletzt von der Vitalität und Rhythmik des Karnevals.

Das Instrument, das aus dem Tango nicht mehr wegzudenken ist und ganz besonders die Melancholie und Sehnsucht ausmacht, ist das Bandoneon. 1835 wurde es, viel weiter nördlich, von einem Akkordeonbauer in Krefeld entwickelt und gelangte etwa um 1900 durch einen deutschen Seemann, so die Überlieferung, an die Küste des Rio de la Plata. Wie kein anderes Instrument drückt das Bandoneon aus, was mit Sprache nicht vermittelbar wäre oder nur viel schlechter. Die Traurigkeit und das Fernweh der Emigranten, die Qual der Eifersucht, Enttäuschung, Freude und übergroßes Glück. Natürlich hat sich seit den 30er und 40er Jahren, als Größen wie Carlos Gardell die Szenerie beherrschten und der Tango in Südamerika seinen Höhepunkt hatte, vieles verändert, und so hat sich zwangsläufig auch der Tango gewandelt und wurde zum Tango nuevo.

Luis di Matteo, der am Freitag und Samstag mit seinen Bandoneonsolos in Berlin gastiert, kommt aus Montevideo. Di Matteo, einer der wichtigsten Vertreter des Tango nuevo, der von sich sagt, er habe schon als Kind Tangomusik gespielt, hat im Laufe der Jahre — schon 1962 gründete er seine erste eigene Band — den Tango langsam, aber stetig verändert. Dabei entstand eine Art Kammermusik mit Wurzeln im Tango, in der Milonga und dem Candombe, für Tanzbeine nicht mehr geeignet — für Operngläser aber ebensowenig. Die vorerst letzte Etappe dieser Entwicklung sind seine Kompositionen und seine Zusammenarbeit mit dem Leningrader Uljanowski National Symphonie Orchester, mit dem er 1991 auf Welttournee gehen wird. Einige Kostproben dieses künftigen Projekts hat er schon jetzt im Handgepäck.

Auf der Bühne kommt Luis di Matteo ohne Effekte, Show und sonstige Ablenkungsmanöver aus. Er sitzt einfach da mit dem Bandoneon auf den Knien, spielt einen Tango concertante und taucht die Zuhörerinnen und Zuschauer für zwei Stunden in ein Wechselbad der Gefühle. Anna-Bianca Krause

Bandoneonsolos mit Luis di Matteo heute in der Akademie der Künste Ost, morgen in der Passionskirche am Marheinekeplatz, jeweils um 20 Uhr.

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