: They never come back
■ Evander Holyfield ist neuer „undisputed heavyweight champion of the world“, doch wen juckt's? PRESS-SCHLAG
Rrrrrrrrrrr! — Hm? — Ringdingding! — Was'n nu los? Ein verschwommener Blick auf das scheppernde Etwas läßt das Unverständnis ins Grenzenlose anwachsen. 3 Uhr 25 MEZ, äh, das ist ja mitten in der Nacht, seit wann klingelt's denn um diese Zeit im Wecker? Das hat's ja noch nie gegeben... äh, das heißt, früher vielleicht schon mal, also, ganz früher, denn damals pflegten sie um die nachtschlafendste aller Stunden Epochales zu übertragen. Once there was a battle there, (alle stimmen ein zum Chor!) in Za-, in Zaire. Ali, der Größte, '74 in Kinshasa, als Foreman zur Achten nicht mehr aus der Ecke kam, und '75, Thrilla in Manila, als „Smokin' Joe“ Frazier gegen Ali in der 14.Runde die Puste ausging und beide aus dem Ring getragen werden mußten (oder trügt da die verklärende Erinnerung etwas?). Ganz zu schweigen vom aus Germanensicht Climaxtischsten (nee, nee, nicht Rockys oder Dagges lahmes Faustgeschwenke), das Datum hat sich unauslöschlich ins Gedächtnis eingemeißelt, der 19.Juni 1936 war's, als Maxe Schmeling den Mann, der auf dem Arlington Cemetery in Washington D.C. nur ein paar Schritte von Robert und John F. Kennedy entfernt liegt, aber das gehört nun wirklich nicht hierher, Joe Louis nämlich, in der 12. Runde technisch k.o. schlug. Aber damals saßen wir ja noch am Volksempfänger. Und früher war das halt auch noch selbstverständlich, sich aus den Kissen zu reißen, weil, ja, weil man sonst was verpaßt hätte. Selbst Alis Farce gegen den am Boden herumrutschenden „Pelikan“ Inoki war da conditio sine qua non.
Aber „Buster“ Douglas, „undisputed heavyweight champion“ und Tyson-Bezwinger, gegen Evander „The Real Deal“ Holyfield, wen drängt es da, via Satellit beim Geschehen im Mirage Hotel von Las Vegas/Nevada, gähnend, frierend und in der Unterhose, live dabei zu sein, bei dem, was die Promoter großspurig als „Moment of Truth“ zu verkaufen trachteten?
Als der gute Buster den Ring betritt, wird schnell klar, warum sich die Wetten gestern in den letzten Stunden dramatisch zugunsten des Herausforderers verändert hatten. 112 Kilo bringt Douglas auf die Waage, das sind 18 mehr als Holyfield. Und was zuviel ist, ist zuviel. Der Champion kann in den insgesamt 430 Sekunden Kampfzeit kein einziges Mal einen Treffer landen, weil „Little Big Man“ Holyfield in seinem erst siebten Kampf in der Königsklasse einfach zu schnell für ihn ist.
Kaum kommt man einmal zum Gähnen, da ist alles vorbei: ein rechter Haken des Herausforderers ans Douglassche Kinn läßt den Besitzer desselben paralysiert zu Boden sinken. Da bleibt er erstmal zwei Minuten liegen und rechnet sich aus, wieviel er bei 25 Millionen Dollar Kampfbörse und sieben Minuten Kampfdauer in der Minute verdient hat. Holyfield jubelt derweil, denn jetzt fängt der „real deal“ für ihn an. Foreman und Tyson warten, und mit ihnen die Millionen.
Und die „Faszination Boxsport“? „Sie waren dabei bei einer weiteren Sensation im Schwergewichtsboxen“, verkündet das Tele5-Heinzl betont holprig-fröhlich-großspurig. Sensation? Dafür noch ein müdes Gähnen. Ali dämmert irgendwo vor sich hin, Joe Louis liegt in Arlington und Max Schmeling vermutlich im Bett. Jaa, jaa, die guten alten Zeiten, they never come back.
Neben mir raschelt jetzt die Decke, das Nies streckt den Kopf heraus und fragt verschlafen: „Ist irgendwas passiert?“ — „Nee, nee“, murmle ich, „schlaf weiter, es ist nichts, aber auch überhaupt nichts“ und mache, daß auch ich wieder ins Bett komme. Peter Unfried
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